Sweet about me
Verkäufer, der Hasenzähne und die feuchte Aussprache eines Duschkopfs hatte, es außerdem geschafft hatte, in einem kurzen Satz dreimal das Wort easy unterzubringen. Wir lachten wie Überlebende. Dann bat Michelle mich, wegen Robbie Williams das Radio lauter zu stellen. Es dauerte nicht lange, da konnte ich den Krach nicht mehr aushalten.
» Tut mir leid«, sagte ich, weil Robbie Williams sich nicht richtig austoben konnte. » Muss meine Ohren schonen für das nächste Konzert, über das ich einen Artikel schreibe. Diese Bands sind immer höllisch laut. Bin danach oft tagelang taub.«
Michelle sagte nicht, dass ich zu alt für meinen Job sei, sondern: » Beim nächsten Mal fahr ich mit, und dann gehst du in ein Café und liest Zeitung, und ich hör mir die Band an. Ich erzähl dir dann, wie es war. Dann schreibst du den Artikel, und deinen Ohren ist nichts passiert. Okay, Papa?«
Ich stieg aus, um das Garagentor zu öffnen. Maya hatte mich immer beim Vornamen gerufen, mich nie Papa genannt, weil ich nie so genannt werden wollte. Ich drückte Michelle an mich. » Mein Mädchen«, sagte ich. » Meine Kleine.«
» Fragst du Frau Breuer, ob ich ganz zu euch ziehen kann?«, fragte Michelle leise.
7
F rau Hauenstein machte sich zum ersten Mal zwei Tage nach unserem Einzug bemerkbar.
» Hallo, ich brauche Brot!«, rief sie, über das Treppengeländer gebeugt, von der zweiten Etage herunter. Ich kam gerade vom Einkaufen. Draußen war es nasskalt.
» He, schwerhörig? Ein Brot brauch ich!« Eine Stimme wie eine verrostete Kreissäge.
Ich stellte meine Taschen vor unserer Wohnungstür ab und stieg zögernd die Treppe hoch, dabei putzte ich missmutig meine beschlagene Brille.
Frau Hauenstein war über achtzig, barfuß und im Morgenmantel, um den sie eine dicke rosa Wolldecke gewickelt hatte. Sie roch nach Zigaretten und Teenagerparfüm.
» Die Beine wollen heute nicht«, sagte sie, als sei das meine Schuld. » Ein verdammter Mist, alt zu werden!« Und dann fügte die unverschämte alte Ziege hinzu: » Aber das weißt du ja selbst.«
» Welches Brot wollen Sie denn?«, fragte ich gereizt und das Sie betonend. » Sesam-, Molke- oder Schwarzbrot? Baguette? Knäckebrot?«
» Knäckebrot?« Die Alte sah mich an wie jemand, der unter rasenden Kopfschmerzen litt, bevor sie den Mund weit aufriss und mindestens zehn Sekunden lang schamlos Zahnstümpfe, Lücken, schwarze Löcher und eine belegte Zunge zeigte.
» Damit soll ich Knäckebrot essen?«
Ich wich einen Schritt zurück.
» Und eine Dose Ravioli brauch ich auch und eine Stange Zigaretten! Bensons, keine anderen!«
Frau Hauenstein wühlte in den Taschen ihres Morgenmantels. Ein stark benutztes Taschentuch, Bonbons, Geldscheine und viele Münzen fielen auf den Boden. Ich bückte mich hilfsbereit. Frau Hauenstein ging unerwartet elastisch ebenfalls in die Knie, sie keuchte allerdings schwer. Eine Art Wettkampf begann. Er endete damit, dass die Alte und ich gleichzeitig nach einem Zwanzig-Euro-Schein griffen. Danach hatte jeder von uns beiden einen halben Geldschein in der Hand.
Ich verstand jetzt, warum Tom kein Altenpfleger sein wollte. Und meine Hilfsbereitschaft bescherte mir noch weitere Tiefschläge. Auf dem Weg zum Bäcker brach ein Windstoß meinem Regenschirm das Genick. Im Tabakladen gab es Streit wegen des halbierten Zwanzigers. Der sei höchstens noch fünfzehn wert, behauptete der Händler. Es war spät, der nächste Tabakladen vier Straßen weiter, Schneeregen. Ich handelte den Zwanziger auf siebzehn hoch. Als ich dem Händler im Hinausgehen ein Nachspiel androhte, rief er aufgebracht: » Das ist jetzt der Dank!«
Im Supermarkt gab es fünf verschiedene Sorten Ravioli. Da Frau Hauenstein keinen speziellen Wunsch geäußert hatte, entschied ich mich unter Zeitdruck, Ladenschluss war in wenigen Minuten, für die klassische Version mit Tomatensoße. Kaum war ich durch die Kasse, warf sich jemand auf mich, der wie ein Kaufhausdetektiv aussah. Er war aber der Filialleiter und ich der zweitausendste Kunde an einem Tag, an dem jeder tausendste Kunde ein besonderes Präsent erhielt. Ich wurde vor ein Getränkeregal gestellt, man gratulierte mir, als hätte ich für den Rest des Lebens ausgesorgt, ein Fotograf tat seine Arbeit. Es ging alles so schnell, dass mein Widerstand über das Symbolische nicht hinauskam. Marie Elaine, die schlanke, mediterrane, äußerst wohlriechende Vertreterin einer Schaumwein-Dynastie, drückte mir zwei angedeutete Küsse auf die
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