Sweet about me
sagte Betty. Sie legte den Kopf zurück. » Ich würde mich auch weigern, wenn’s um die Roten ginge.«
» Aber die haben wir doch immer gewählt!«
» Ich will nichts mehr mit Politik zu tun haben«, sagte Betty. » Das ist alles falsch und verlogen. Total gottlos.«
» Gottlos?«, sagte ich und versuchte zu lachen. » Was ist das denn für ein Wort? Bist du jetzt bei den Taliban oder den Zeugen Jehovas?«
Betty sah mich an, als hätte sie mich noch nie zuvor gesehen. Ihr Zeigefinger zeichnete abstrakte Muster auf ihr Kopfkissen.
» Sie werden mich jedenfalls rausschmeißen«, sagte sie fast fröhlich.
Maschinengewehrsalven in Toms und Heikes Film. Mein Mund wurde trocken, ich musste schlucken. » Was ist mit dir los?«, sagte ich mit mühsam beherrschter Stimme. » Und wovon sollen wir den Kredit für die Wohnung abbezahlen?«
» Mach endlich dein Hobby zum Beruf«, antwortete Betty mit einem Elan, als habe sie fünfzehn Jahre auf diese Gelegenheit gewartet. » Ruf Gerster an und sag ihm, ein Auftrag im Monat sei zu wenig. Dass du drei oder vier brauchst.«
Obwohl die Nordsee zweihundertdreißig Kilometer entfernt war, rauschte es in meinen Ohren, als seien es bloß zwei Meter dreißig.
» Ich werd den Gedanken nicht los«, sagte Betty auf einmal, » dass Maya sich absichtlich vor das Auto geworfen hat. Was denkst du?«
Ich stand auf und verließ das Schlafzimmer. In der Küche trank ich ein Glas Wasser, blätterte, ohne ein Wort zu lesen, in einer Zeitung. Später ging ich in mein Arbeitszimmer, schloss die Tür ab. Ich schaltete den PC ein, sah nach, ob Gerster mir eine Mail geschickt hatte. Vielleicht hatte er ja woanders angeheuert und einen Job für mich.
Dann holte ich Brass’ Pistole aus dem Versteck. Der Sprengstoffhändler hatte die Schussverletzung überlebt, mit verkrüppeltem Ohr und gelegentlichem Gedächtnisverlust. Es gab Freitage, an denen er mir meinen Wochenlohn zweimal ausgezahlt hatte. Auch die Gedächtniskraft des Lkw-Fahrers war getrübt. Der wisse nicht, wo die Waffe geblieben sei, mit der er Brass fahrlässig zur Strecke gebracht habe, sagte einer der beiden Polizisten, die kurz nach dem Vorfall vor meiner Tür standen. Er wisse nur, dass er sie nicht habe. Ob ich Angaben zu der vermissten Schusswaffe machen könne?
» Leider nicht«, hatte ich nervös geantwortet. » Würde Ihnen ja gern weiterhelfen, aber –«
Obwohl ich, wie ich fand, wenig glaubwürdig wirkte, wurde aus der Befragung kein Verhör, und schon gar nicht fand eine Durchsuchung meiner Bude statt. Die Beamten hinterließen eine Telefonnummer und den Eindruck, als sei ihnen dieser Besuch lästig, als hielte er sie bloß vom Kampf gegen die RAF ab.
Die sechs Patronen, die der besoffene Fahrer nicht verballert hatte, waren nach all den Jahren wahrscheinlich eingerostet, der Lauf verharzt und verstopft. Aus Film und Fernsehen wusste ich, dass man eine Waffe pflegen muss, damit sie funktionierte. Ich hielt mir die Pistole kurz an die Stirn, vor den Mund, spielerisch, schloss die Augen, verzog das Gesicht. Ich musste an Fotografien aus dem Ersten Weltkrieg denken. Männer ohne Mund, ohne Augen, entstellte Monster mit schwersten Gesichtsverletzungen, offenem Rachen, aber am Leben.
Frau Hauensteins Beine wollten immer noch nicht, aber ihr Appetit auf weiches Weißbrot, Ravioli, Trüffelleberwurst, Billigsekt und Filterzigaretten war intakt. Sie hatte sich in Schale geworfen, als sie mir diesmal öffnete. Kirschroter Lippenstift, eine Bluse in Frühlingsfarben und mit angedeutetem Dekolleté, große afrikanische Ohrringe. Der Armreif aus Silber verrutschte ständig, weil Frau Hauensteins Arm zu dünn für ihn war. Sie stützte sich auf einen Stock, dessen goldfarbener Griff ein Vogelkopf mit langem Schnabel war.
Sie schien ihren guten Tag zu haben. Außer Atem vom Treppensteigen musste ich ihr mitteilen, dass der gepfefferte Ziegenkäse zum Sonderpreis vergriffen war. Sie ertrug die schlechte Nachricht mit einer beschwichtigenden Handbewegung. Ihr Wohnzimmer war Heimat für ein Dutzend Aschenbecher und viele Bücher und Bildbände über Venedig. An den Wänden hingen gerahmte Fotografien von Gondeln und Palästen.
» Da wollte ich immer mal hin, aber immer ist was dazwischengekommen«, sagte Frau Hauenstein und lachte. » Schwangerschaft, Scheidung. Zwei Krebsoperationen und so weiter. Der übliche Quatsch.«
Auf dem Bücherregal stand ein Foto von einer jungen attraktiven Frau Hauenstein, schlank und elegant wie
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