Symphonie der Herzen
Privatdarbietungen gab.
Müde, doch gleichzeitig auch aufgeregt stapfte Alexander neben seiner großen Schwester her. »Ich mag es, wenn du tanzt, Lulu«, lachte er.
»Danke, mein Lieber«, flüsterte Louisa gerührt und blickte ihren kleinen Bruder an. Schon bald würde er seine liebevolle Unschuld verlieren und genauso ein Satansbraten werden wie seine Brüder. Im Augenblick aber vergötterte Alex seine Lulu noch geradezu, und sanft streichelte sie ihm über den Schopf.
Wenig später nahm Georgy gähnend am Cembalo Platz, während Louisa rasch hinter die Bühne eilte, um in ihr Ballettkostüm zu schlüpfen. Hastig stemmte sie den schweren Deckel der Kleidertruhe auf und zog ihr Tutu und ihre Schläppchen heraus, bis ihr mit einem Mal auffiel, dass jemand die Satinbänder von ihren Schuhen abgeschnitten hatte. Ohne die konnte sie jedoch nicht tanzen. »Ihr verdammten Bastarde!«, rief sie und stampfte wütend mit dem Fuß auf.
Fluchend tauchte sie abermals kopfüber in die Truhe hinab und zog schließlich ein Paar uralte Spitzenschuhe hervor, die ihre Brüder glücklicherweise übersehen hatten. Zwar hatte sie eigentlich nicht vorgehabt, einen Spitzentanz aufzuführen, doch andererseits konnte sie sich von ihren Brüdern ja nicht so einfach austricksen lassen, und überhaupt war es für sie keine große Sache, sich rasch einen anderen Tanz auszudenken. Unter leisem Ächzen schälte sie sich aus ihrem Kleid und dem voluminösen Unterrock, um dann in ihr weißes glockenförmiges Ballettröckchen zu schlüpfen, auf die Truhe hinabzusinken und sich rasch die Schuhe anzulegen, wobei sie sorgsam darauf achtete, die Bänder immer schön fest und über Kreuz zu binden, auf dass die Spitzenschuhe sich nicht während ihrer Aufführung plötzlich verabschiedeten.
Schließlich war sie fertig herausgeputzt und schritt langsam und mit erhobenem Kinn auf die Bühne hinaus. Es folgte eine dramatische Pose, die sie, ganz die professionelle Tänzerin, ohne zu schwanken oder auch nur mit der Wimper zu zucken, souveräne drei Atemzüge lang durchhielt, bis Georgy endlich mit ihrem Lied begann. Leider kannte Louisas Schwester zwar nur einige wenige Ballettkompositionen, doch Lu hatte mit der Zeit gelernt, ihre Schritte so ziemlich jedem von Georgys Liedern anzupassen, und so atmete sie erleichtert auf, als endlich das melancholische Brummen des Cembalos erklang.
Es war ein trauriges Lied, und entsprechend sachte tanzte Lu zunächst nur einen demi pointe, also einen Tanz auf halber Spitze, der sie in grazilen kleinen Schritten einmal vom einen Ende der Bühne ans andere führte. Sie war so zart wie eine Gazelle und ließ sich von der Musik tragen, als wäre sie ein Teil von ihr, bis sie mit einem Mal hoch in die Luft sprang und wie ein Schwan dabei graziös die Arme ausstreckte, nur um gleich darauf - und ohne auch nur einen einzigen Takt zu verpassen - auf der vollen Spitze zu landen. Es folgten einige schmetterlingsleichte Pirouetten zurück in die Mitte der Bühne, wo sie schließlich so anmutig und doch so temperamentvoll tanzte, als ginge es um ihr Leben und als könnte nur ein Mensch auf Erden sie noch retten - ein gewisser Edwin Landseer.
Die Musik endete schließlich in einem mitreißendem Crescendo, und schwer atmend verbeugte Lu sich vor der begeisterten Zuschauerschar; fast schon hätte ihr Kopf ihre Zehen berührt, so weit beugte sie sich hinab. Dann, nach einigen Sekunden, richtete sie sich unter dem donnernden Applaus ihrer Bewunderer wieder auf und streckte grazil die Hand nach ihrer Schwester aus, die ebenfalls in einen kleinen Knicks sank, und beide Mädchen strahlten übers ganze Gesicht. Mit dem kleinen Unterschied, dass Lus Lächeln nur einem Einzigen galt.
Wie berauscht von ihrer Aufführung verließ Louisa die Bühne, und dann spürte sie es! Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, als hätte jemand Glasscherben in ihre Schuhe gestreut, und so humpelte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht zu der alten Truhe hinüber und riss sich unter Tränen die Schuhe und die langen Strümpfe vom Leib. Natürlich hatte ihr niemand etwas derartig Boshaftes angetan, doch die Schuhe von damals - sie hatten ja schließlich auch ganz unten auf dem Truhenboden gelegen - waren mittlerweile einfach zu klein, und so musste Louisa zu ihrem Schreck feststellen, dass jedes einzelne ihrer Zehen blutete und ihre Zehenspitzen ganz aufgescheuert waren. Tapfer versuchte sie, mit ihrem Unterrock das Blut abzutupfen, wobei sie immer wieder
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