Symphonie der Herzen
könnt Ihr Euch verlassen. Aber es stimmt schon, ich habe tatsächlich ein klein wenig von einer Zigeunerin an mir. Ich kann nämlich in die Zukunft sehen. Das ist eine ganz besondere Gabe, für die man dankbar sein muss - meistens jedenfalls.«
»Das gibt es doch nicht!«, staunte Louisa und nahm noch einen Schluck von ihrem Kinderwein. »Könnt Ihr vielleicht auch in meine Zukunft sehen?«
Nachdenklich fuhr Dorothea Lieven sich einmal mit der Zungenspitze über die geschminkten Lippen, ehe sie entgegnete: »Das könnte ich sicherlich. Die Frage ist nur, ob Ihr auch tatsächlich wissen wollt, was Euch die Zukunft bringt?«
»Aber ja! Natürlich will ich das.« Louisa war schon ganz aufgeregt.
»Nun, dann setzt Euer Weinglas ab und reicht mir Eure Hand.«
Wissbegierig stellte Lu ihr Glas auf dem kleinen Beistelltisch ab und streckte der feenhaften Prinzessin ihre Hand entgegen. Ernst betrachtete die Botschaftergattin die kleine Kinderhand.
»Ihr habt ein langes Leben vor Euch, Louisa Russell«, begann sie schließlich mit ihrer Prophezeiung. »Ja, so an die einhundert Jahre dürften es wohl werden. Und Ihr werdet stets wohlgelitten sein bei Hofe, wobei Ihr nicht weniger als fünf verschiedene Monarchen auf dem englischen Thron erleben werdet.«
Nun ja, der erste Thronwechsel steht ja schon kurz bevor, dachte Louisa. Der alte König George liegt bereits im Sterben, sodass in Kürze Prinny der neue Regent sein wird. Im Geiste malte sie sich aus, wie der dickliche kleine Prinny auf dem Thron Platz nehmen würde, auf seinem weichen Haupthaar die mächtige glitzernde Krone - Lu musste unwillkürlich lachen.
Die Botschaftergattin aber ließ sich davon nicht beirren, sondern fuhr mit konzentrierter Miene fort: »Und ich sehe sehr viele Nachfahren rund um Euch herum -«
»Oh, ja«, gluckste Lu. »Das kann ich mir denken. Vater nennt unser Zuhause, Woburn Abbey, schon jetzt nur noch den >Karnickelbau<. Unsere Familie wird sich also noch weiter vergrößern? Das heißt aber doch wohl hoffentlich nicht, dass die alle von meiner Mutter zur Welt gebracht werden - oder?« Mit Schaudern erinnerte Louisa sich an das letzte Weihnachtsfest, als Georgina, die Herzogin von Bedford, einen toten kleinen Jungen geboren hatte. Sie sorgte sich sehr um ihre Mutter, was natürlich auch Prinzessin Lieven nicht verborgen blieb.
»Macht Euch bitte keine Gedanken um Eure Mutter, Lady Louisa«, beruhigte sie sie. »Der lieben Georgina geht es prächtig, und ich sehe keinen Grund, warum sie nicht noch mehr Kinder bekommen sollte. Wobei ich im Übrigen von vornherein nicht von meiner lieben Freundin, also Eurer Mutter, gesprochen habe, als ich meinte, dass Eure Familie noch um viele weitere Mitglieder anwachsen wird. Nein, ich meinte damit vielmehr, dass Ihr einst eine sehr große Familie gründen werdet.«
Entsetzt starrte Lu die adlige Wahrsagerin an. »Ihr müsst Euch irren! Ich habe vor, Schauspielerin zu werden und Tänzerin. Von einer Horde Kinder jedenfalls träume ich ganz bestimmt nicht. Vielleicht könnte ich mich eines Tages dazu durchringen, ein kleines Mädchen zu bekommen. Ja, ein einziges Mädchen wäre noch in Ordnung. Aber keine Jungs!«
Liebevoll strich Prinzessin Lieven Louisa eine dunkle Locke aus der gerunzelten Stirn und entgegnete: »Ihr wollt Euch Euer Leben auf der Bühne verdingen? Solch ein Unsinn. Nein, meine Liebe, glaubt mir, Ihr werdet mehr als ein Dutzend Kinder zur Welt bringen. Allesamt sehr hübsche kleine Kinder, wie ich meinen möchte.« Doch der erschrockene Ausdruck auf Louisas Gesicht wollte einfach nicht weichen, sodass die Prinzessin schließlich beruhigend hinzufügte: »Und es werden in jedem Fall mehr Mädchen als Jungen sein. Ganz bestimmt.« Sanft ergriff sie abermals Louisas Hand.
Die aber hatte genug von der ganzen Wahrsagerei und sprang von ihrem Platz auf. »Bitte entschuldigt mich, Prinzessin Lieven«, entgegnete sie. »Aber ich muss mich jetzt von Euch verabschieden. Ich muss Mutter finden.« Der bloße Gedanke an die wahre Horde von Nachkommen, die sie laut Prophezeiung der Prinzessin einst in die Welt setzen würde, jagte ihr bereits eine Gänsehaut über den Rücken. Lu erinnerte sich nämlich noch ziemlich genau an die gellenden Schmerzensschreie ihrer Mutter, als diese in den vergangenen drei Jahren mit schöner Regelmäßigkeit ein Kind nach dem anderen zur Welt gebracht hatte.
Ein wenig verdutzt schaute die Prinzessin ihrer kleinen Freundin hinterher, während Louisa sich
Weitere Kostenlose Bücher