Symphonie der Herzen
geschwelgt hatte. Georgy hatte nämlich nahezu überhaupt nichts vom umwerfenden Aussehen ihrer Mutter geerbt, sondern konnte, zumindest, was ihr Äußeres betraf, bestenfalls als >langweilig< beschrieben werden. Und genau das war auch der Grund, weshalb Louisa - ohne sich dessen bewusst zu sein - stets das Gefühl hatte, ihre Schwester beschützen zu müssen, und diese gerade aufgrund ihrer mangelnden Attraktivität umso inniger liebte.
Der junge Pferdeknecht streckte die Arme hoch, um Lady Georgianna aus dem Sattel zu helfen, woraufhin diese sich betont langsam und aufreizend mit der ganzen Länge ihres Körpers einmal an dem seinen hinabgleiten ließ. Anschließend sank sie graziös ins Gras und griff nach seiner Hand - bis sie plötzlich ihre Schwester entdeckte, wieder aufsprang und hastig einige Schritte zurücktrat. »Lu, was machst du denn hier? Spionierst du mir etwa nach?«
»Nein ... natürlich nicht«, stammelte Louisa und nahm ihrem Pony das Zaumzeug ab. »Es ist nur so, dass Lanny gern wollte, dass ich gemeinsam mit Huflattich posiere. Und jetzt will ich sie zurück auf die Koppel bringen.« Misstrauisch schaute sie zu, wie Dick scheinbar vollkommen unberührt von der peinlichen Situation sein eigenes Pferd und die Stute ihrer Schwester zurück in den Stall brachte.
»Aber du musst doch zugeben: Er sieht schon höllisch gut aus, nicht wahr?«, flüsterte Georgy Louisa in alter Komplizenschaft ins Ohr, nachdem Dick mit Georgys Pferd in dessen Box verschwunden war.
»Darauf kannst du wetten!«, erwiderte Louisa mit einem verschmitzten Grinsen. »Ich kann es kaum erwarten, bis er endlich das Bild fertig hat.«
»Aber Louisa!«, stöhnte Georgy genervt auf und verdrehte die Augen. »Ich meine doch nicht Lanny, um Himmels willen. Ich meine Dick!«
»Ach so.« Louisa stutzte einen Augenblick und schaute ihre Schwester eindringlich an. »Trotzdem solltest du dich nicht derart von ihm berühren lassen. Das schickt sich nicht.«
»Das schickt sich nicht«, äffte Georgy ihre Schwester nach. »Meine Güte, Lu, jetzt sei doch nicht so prüde. Du hast aber auch überhaupt keinen Sinn für Humor. Aber was rede ich da! Du warst ja schon immer ein Spätzünder, nicht wahr? Hast du überhaupt schon bemerkt, dass es nicht bloß Mädchen auf der Welt gibt?«
Louisa errötete und dachte an das Herzrasen zurück, das sie vor kaum mehr als einer halben Stunde verspürt hatte.
»Na, habe ich recht?«, stichelte Georgy weiter. »Ich jedenfalls wette, dass du trotz deiner sechzehn Jahre noch keinen Jungen geküsst hast!«
Im Geiste stellte Lu sich vor, wie Lanny ganz zart ihre Lippen berührte, und die Farbe ihrer Wangen wechselte prompt von Rosé zu Purpurrot.
»Ja, genau! Das ist es!«, kreischte ihre Schwester, ohne eine Antwort abzuwarten. »Wir wetten um eine Guinea, dass du bis zu deinem nächsten Geburtstag im Juli noch immer nicht geküsst worden bist.«
»So ein Quatsch. Aber gut, wie du willst. Die Wette gilt. Wenn ich es mir in den Kopf setze, werde ich bis dahin nämlich sehr wohl einen Mann geküsst haben. Darauf kannst du dich verlassen!«
Mitleidig lächelte Georgy ihre Schwester an. »Ein kleiner Tipp am Rande, Schwesterherz: Benutze dazu ausnahmsweise einmal deine Brüste und nicht dein Hirn.«
Hastig zog Louisa sich aus und schlüpfte in ein neues Kleid, um dann so schnell sie konnte in den Venezianischen Salon hinabzueilen. Sie wollte unbedingt noch ein paar Worte mit ihrer Mutter wechseln, ehe man sich zum Abendessen zusammenfand. Das Abendessen auf Woburn wurde nämlich immer um Punkt sechs Uhr serviert, und es saßen nur höchst selten einmal weniger als zwanzig Personen am Tisch, sodass ein persönliches Gespräch mit Georgina wirklich eine Seltenheit war; ungefähr genauso selten wie die Van Dykes, die Louisas Vater im Laufe der Jahre gesammelt hatte und die nun die Wände des großen Esszimmers schmückten.
Georgina unterhielt sich gerade ganz in Ruhe mit ihrer besten Freundin, Lady Holland, deren Anwesen Ampthill ebenfalls in Bedfordshire lag. »Hallo, Tante Beth«, sagte Louisa und musterte besorgt ihre Mutter, die in letzter Zeit ein wenig ausgezehrt und abgekämpft ausgesehen hatte. Andererseits war das ja auch kein Wunder, wenn man bedachte, dass Baby Rachel gerade erst zwei Jahre alt war und noch nicht durchschlief, sodass ihre Mutter Nacht für Nacht stundenlang an Rachels Wiege wachen musste und die Kleine in den Schlaf sang, ehe sie todmüde endlich selbst wieder ins Bett sinken
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