Symphonie des Lebens
weitersprechen. Die Gestalt vor ihm rutschte aus dem Sessel und glitt auf den Teppich. Carola war ohnmächtig geworden, die Grenze ihrer Kraft war überschritten.
»Vera!« rief Donani betroffen. Er kniete neben dem schlaffen Körper, drückte den schmalen, schwarzhaarigen Kopf an seine Brust und streichelte die kalten Schultern. »Vera, um Gottes willen, was hat Sie so erschreckt? Vera … ich liebe Sie! Jetzt hören Sie es nicht, und darum wage ich es, Ihnen das zu sagen. Ich liebe Sie! Sie sind Carola so ähnlich und doch so ganz anders. Sie … Sie könnten mich glücklich machen, endlich wieder glücklich –« Er hob mit beiden Händen ihr Gesicht zu sich und küßte sie innig auf die kalten, farblosen Lippen. Dann hob er sie auf und trug sie vorsichtig in das obere Stockwerk, legte sie auf das Bett des Fremdenzimmers und deckte sie zu.
»Du wirst nicht weggehen, das weiß ich«, sagte er und streichelte ihre schwarzen Haare. »Und du sollst für mich auch kein neuer Engel sein, sondern ein lebender, blutvoller Mensch.«
Er rannte hinunter, um einen Kognak zu holen und ihn ihr einzuflößen. Als er zurückkam und die Tür aufreißen wollte, war sie von innen verschlossen. Er rüttelte an der Klinke und klopfte.
»Vera!« rief er leise, um die nebenan schlafenden Kinder nicht zu wecken. »Vera, bitte, öffnen Sie –«
Im Zimmer blieb alles still. Noch einmal klopfte er und rief leise: »Vera!« Dann senkte er den Kopf und ging langsam die Treppe hinunter in den großen Wohnraum.
Morgen, dachte er, morgen wird alles anders sein. Sie muß Zeit haben, das alles seelisch zu verarbeiten. Es ist ein seltenes Abenteuer, die Beichte eines Mannes anzuhören.
*
Am nächsten Morgen wartete Donani vergeblich im Wintergarten am gedeckten Frühstückstisch. Erna Graudenz antwortete schnippisch auf seine Frage, wo Frau Friedburg bliebe, sie sei nicht befugt, Gäste zur Pünktlichkeit anzuhalten. Schließlich ging Donani selbst hinauf, klopfte an der Tür des Fremdenzimmers, bekam keine Antwort, versuchte, ob die Tür sich öffnen ließ, und fand sie unverschlossen.
Das Zimmer war leer. Das Bett war gemacht, die Schranktüren standen offen, Wäschestücke lagen verstreut herum. Alles sah nach Flucht aus, nach einem überstürzten Aufbruch. Vera Friedburg mußte in der Nacht noch das Haus nur mit einer Reisetasche verlassen haben. Ihre gesamte Garderobe war noch vorhanden.
Donani lief hinüber ins Kinderzimmer. Alwine war in der Schule, Babette saß im Bett und trank Kakao. Ihr Lächeln wurde hilflos, als sie statt der Tante Vera nur den Papi hereinkommen sah.
»Wo ist Tante Vera?« fragte Babette und stellte die Tasse auf den Nachtschrank zurück. »Warum ist Tante Vera heute morgen noch nicht zu mir gekommen?«
»Ja, warum?« Donani setzte sich auf die Bettkante und nahm Babettes kleine Hand. »Vielleicht ist Papi daran schuld.«
»Du … du hast sie entlassen?« rief Babette.
»Nein. Ich wollte, daß sie immer bei uns bleibt.«
»Au fein, Papi! Und wo ist Tante Vera jetzt?«
»Ich weiß es nicht, mein Kleines.« Donani wandte den Kopf ab. Es ist dumm, dachte er, aber ich kann es nicht zurückhalten … ich spüre, wie mir die Tränen kommen.
»Kommt sie wieder, Papi?« fragte Babette und stupste ihn in den Rücken. Donani hob die Schultern.
»Auch das weiß ich nicht, mein Kleines.« Seine Stimme verlor alle Festigkeit. »Ich weiß nur, daß auch sie uns verlassen hat … wie damals Mami –«
*
Den ganzen Vormittag saß Donani im Musikzimmer und grübelte. Pietro Bombalo schlich auf der Terrasse herum, starrte durch das Fenster auf Donani, bis dieser aufsprang und mit einem Ruck die Gardine vorzog.
Im Kinderzimmer weinten Alwine und Babette und machten vor allem Erna Graudenz das Leben schwer. »Sie kann doch nicht einfach weggehen«, sagte Alwine. »Wir haben sie doch alle so liebgehabt. Hat sie denn gar nichts gesagt?«
Gegen Mittag kam Bombalo entgegen aller Gepflogenheiten ins Musikzimmer und baute sich vor Donani auf.
»Schluß jetzt«, sagte er. »Soll der ganze Mist wieder von vorn beginnen? Sie ist weg, basta! Vielleicht kommt morgen eine neue und –«
»Mach, daß du hinauskommst«, sagte Donani gefährlich leise und tastete nach einem Aschenbecher. »Ich sage dir – geh so schnell wie möglich.«
»Und wenn Sie mich jetzt erschlagen, Maestro – ich bleibe.« Bombalos dicke Gestalt straffte sich. »Madonna mia, einer muß doch hier im Haus vernünftig sein. Was ist denn passiert? Tante
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