Symphonie des Lebens
Nervenentzündung, die ihm vier Wochen das Dirigieren verbot, an eine Reise, und nun, an seine Frau … inmitten der Vielzahl der Erinnerungen. Und was das Schrecklichste ist, Mama: Er beginnt, mich zu lieben, die andere, die neue Frau, die sich Vera Friedburg nennt. Ich weiß es – er liebt mich. Da bin ich weggelaufen, einfach weggelaufen zu dir … Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Wenn ich zu ihm sage: Ich bin Carola, dann reiße ich für ihn die Hölle auf. Carola muß für ihn tot sein!«
Bertha Portz legte die alten, welken Hände in den Schoß und sah ihre Tochter voll Mitleid an. »Da gibt es keine Lösung, mein Kind«, sagte sie mit belegter Stimme. »Dann mußt du tot sein. Bleibe bei mir –«
»Und meine Kinder? Ich soll sie nie mehr sehen?«
»Das wird deine lebenslange Strafe sein.«
»Lieber sterbe ich!« Carola sprang auf. »Dann will ich wirklich von allem weggehen: Es ist gut, Mama, daß du mir das sagst. Ich habe keine Angst mehr vor dem Sterben. Ich hätte mich schon damals von den Felsen ins Meer stürzen sollen. Aber damals war ich zu feig dazu. Heute nicht mehr.«
»Ich kann dir nur raten: Bleib bei mir, Carola. Oder … oder …« Sie stockte und zog Carola mit einem Ruck zu sich heran. »Du liebst deinen Mann, hast plötzlich entdeckt, daß du ihn wieder liebst.«
»Mama –«, stammelte Carola mit weiten Augen.
»Ja! Das ist es! Das ist stärker in dir als alles andere. Du willst wieder in seine Arme. Du willst ihn lieben und weiter betrügen, immer und immer wieder … du willst diese Vera spielen –«
»Mutter!« Carola riß sich los und sprang auf. »Ich bin doch seine Frau!«
»Seine Frau liegt auf dem Starnberger Friedhof.«
»Dann gibt es wirklich nur einen Weg!« rief Carola.
»Und welchen?«
»Ich werde die Geliebte meines Mannes!«
»Daß du dich nicht schämst –«
»Schämen? Warum, Mutter? Ich mache Bernd wieder glücklich … hat er das nicht verdient? Carola konnte es nicht … wenn es nun Vera kann? Mache ich nicht meine Schuld ein klein wenig wieder gut, wenn ich Bernd durch mich glücklich werden lasse?«
»Und du willst es ihm nie sagen?«
»Nein.«
»Das wird ein schrecklicher Kampf gegen dich selbst und dein Muttergefühl. Du wirst diesen Kampf verlieren – oder an ihm innerlich zugrunde gehen. Tu es nicht, Carola. Höre auf mich, auf deine Mutter. Tu es nicht. Sage ihm die Wahrheit.« Die alte Frau hob flehend die Hände. In ihren Augen standen Tränen … sie flossen über das runzelige Gesicht, lautlos, ohne Schluchzen.
Carola schlug die Hände vor das Gesicht und wandte sich ab. Und wenn ich wirklich daran zerbreche, dachte sie. Ein Jahr werde ich durchhalten. Ein Jahr lang wird Bernd wieder glücklich sein … und ich werde es auch sein. Wie lang und wie herrlich kann ein seliges Jahr sein –
*
»Ich ziehe mich von allem zurück«, hatte Bernd Donani nach der niederschmetternden Nachricht zu Bombalo gesagt. Die erste Erregung war verrauscht, das nüchterne Denken war zurückgekehrt, aber es war ein schweres, nachtdunkles Denken, ein Abschiednehmen des großen Donani von der großen Welt. Carola war tot, und nun war auch Vera Friedburg eine Tote gewesen, die zwar lebte, aber deren Zwielichtigkeit mit ihrer Flucht zu Ende war. Eine Episode, die für Donani mehr werden sollte, war verflogen – es blieb ein bitterer Geschmack zurück, eine gallige Verachtung, die die ganze Welt umschloß.
»Ich will von diesen Menschen nichts mehr wissen, Bombalo«, hatte er gesagt. »Ich erinnere mich, daß ein alter Opernsänger einmal zu mir sagte: ›Herr Donani, noch sind Sie jung, und solange Sie Erfolg haben, sind Sie ein Gott für die anderen. Aber wehe, wehe, dreimal wehe, wenn Sie einmal alt und klapprig werden. Ein Karrengaul ist dann mehr wert als Sie, denn ein Gaul kann noch etwas ziehen. Sie liegen nur auf der Tasche der anderen. Dann werden auch Sie erkennen, was ihr jungen Leute nie begreifen könnt: Die Welt, die Menschen, alles, was hier atmet und sich Gottes Kreatur nennt, ist schlecht.‹ Ich glaube, ich bin weit genug, um das jetzt zu bejahen.«
»Und ich, Maestro?« Bombalo schlug sich an die fette Brust. »Gehöre ich auch dazu?«
»Du auch. Du hast mich jahrelang begaunert.« Donani lächelte schwach und klopfte dem beleidigten Bombalo auf den Arm. »Sei nicht böse, Pietro. Das Gaunern gehört zu dir. Dafür bist du ein Manager geworden. Aber ich will nicht mehr. Sage alles ab. Alles. Ich will nur noch hier leben, hinter
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