syrenka
sprechen – »... der Natur. Und ich möchte festhalten, was ich gesehen habe, um es für immer zu wissen.«
»Du wirst aber nicht für immer leben.«
Er lachte wieder, zum zweiten Mal seit neun Monaten und beide Male innerhalb der letzten Minuten. »Das stimmt. Aber wenn ich ein guter Forscher werde, dann kann ich vielleicht irgendwann einmal etwas veröffentlichen, damit andere es lesen können. Dann werden meine Erkenntnisse für lange Zeit auf der Welt bleiben – wenn nicht gar ewig.«
»Ich werde ewig leben«, sagte sie leise.
Ezra konnte sich nicht vorstellen, wie das möglich sein sollte.
»Ich kann zwar getötet werden. Viele von uns sind schon getötet worden. Aber wenn man mich in Ruhe lässt, werde ich nicht sterben.«
Viele von uns , wiederholte Ezra in Gedanken. Sie war also nicht die Einzige.
Sie schwieg. Die Dunkelheit hatte die Buhne nun so vollständig eingehüllt, dass Ezra nicht mal mehr die Umrisse ihrer Gestalt erkennen konnte. Und im nächsten Augenblick begann er zu fürchten, dass sie verschwunden sei. Aber dann hörte Ezra das leise Plätschern ihrer Schwanzflosse.
»Die Ewigkeit bietet keine Erfüllung«, sagte sie. »Sie bedeutet nur Verlust.«
Ezra wusste, dass die Flut kam und er gehen musste. »Mein Name ist Ezra«, sagte er.
»Ich bin Syrenka.«
»Wirst du wieder hierher kommen, um mich zu treffen, Syrenka?« Er versuchte ganz ruhig zu klingen. Er durfte sie nicht drängen. »Es gibt so vieles, was ich gern wissen möchte.«
»Ich werde dich so oft treffen, wie du wünschst. Bis du dich nicht mehr für mich interessierst.«
Er lächelte unbemerkt in der Dunkelheit.
Als wenn ich nicht eher Gefahr liefe, mich fortan für nichts anderes mehr zu interessieren ... , dachte er.
Am Nachmittag von Peters letztem Schultag hatte Hester bei den heruntergekurbelten Scheiben seines Pick-ups und der voll aufgedrehten Musik das Gefühl, dass der Sommer nun wirklich gekommen war – und vielleicht auch das Ende einer Ära. Peter und Sam in ihren Anzügen hatten ihre Krawatten gelockert und Hester trug ein hauchdünnes Kleid. Das Wetter war perfekt: nicht zu warm und nicht zu frisch. Vor dem blitzblauen Himmel zeichneten sich die Silhouetten der Steilfelsen gestochen scharf ab. Sam hatte sich zwischen Peter und Hester quetschen müssen und sang die Musik mit – wobei seine Stimme, trotz seiner neuerdings gut zwei Meter großen Statur, noch immer eine wilde Mischung aus hohen und tiefen Tönen hervorbrachte.
»Letting the days go byyyyy, let the water hold me down!«
Hesters Blick wanderte zum Meer. Es glitzerte im Sonnenlicht und funkelte sie an wie tausend Sterne. Gedanken an den Strand, an den Sand, an die Aufschüttungen und an die Höhle blitzten in ihr auf, ohne dass sie sie willentlich heraufbeschwor.Als der Wagen zum Picknickgelände an der Water Street abbog, schüttelte sie ihren halb wachen Zustand ab. »Jungs«, rief sie aufgekratzt, »lasst uns einen Strandspaziergang machen!«
»Kommt überhaupt nicht infrage«, protestierte Sam, während Peter den Wagen in die Parklücke lenkte. »Das ist nur was für alte Leute. Außerdem bin ich mit ein paar Kumpels im ›Squants Treasure‹ zum Muschelessen verabredet.«
»Und du, Peter?« Hester stieg bereits aus dem Auto.
»Viel Strand wird es im Moment wohl nicht geben, aber ich komme mit.«
»Bis später dann!«, rief Sam und lief gemächlich los Richtung Norden, zum Hafen.
Peter stieg ebenfalls aus und warf seine Jacke auf den Rücksitz. Während er über die Wiese schlenderte, rollte er sich die Ärmel hoch. Er lief entspanntes Sommertempo, so schnell, wie man eben geht, wenn man nichts Genaues vorhat, wenn man nicht den heftigen Drang verspürt, an den Strand zu gelangen. Hester versuchte sich zu beherrschen, legte aber trotzdem noch einen Schritt zu – wobei sie ohnehin schon vorauslief.
»Hey, Hester, wegen der Party ...«, rief Peter ihrem Rücken zu. »Es tut mir wirklich leid, was ich da gesagt habe.«
»Ist schon okay!«, antwortete sie über ihre Schulter. Beeil dich lieber! , dachte sie.
»Du wirst auch ohne meinen Rat, wie du dein Leben zu leben hast, zurechtkommen.«
»Ich weiß schon, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin.«
»Dann bist du eine gute Schauspielerin.«
Sie hatten die Treppe, die zum Strand hinunterführte, fast erreicht. Hester rannte voraus und sah hinab.
»Ach!«, machte sie enttäuscht. Abgesehen von ihren glitschigen grünen Kuppen lagen die Uferfelsen bereits im Wasser. Der schmale
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