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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Schreibtisch stand - sein Vorderende bestand aus dem Kopf eines Türken, der einen Turban trug. Ein Paar identischer Visitenkarten, die mehrfach festgetackert waren, hielten die beiden Henkel der Tasche zusammen. Pamela Mainwaring, Blue Ant.
    Sie riss die beiden Kärtchen ab und öffnete die Tüte, wobei die Heftklammern das Papier zerfetzten.
    Ein äußerst schweres Denimhemd. Sie nahm es heraus und breitete es auf ihrem Schoß aus. Nein, eine Jacke. Der Denim dunkler als ihre Jeans, fast schon schwarz. Und er roch stark nach jenem Indigo, dem erdigen Dschungelduft des Ladens, wo sie die Jeans entdeckt hatte. Die Metallknöpfe - vernietet - waren nachtschwarz und wirkten wie mit Puder bestäubt.
    Außen war nirgendwo ein Markenzeichen zu sehen. Das Etikett befand sich innen, direkt unterhalb des Kragens, und bestand aus ungefärbtem Leder, so dick wie ein Gürtel. Darin war nicht etwa ein Name eingebrannt, sondern der irgendwie verstörende Umriss eines kindsköpfigen Hundes. Das Brenneisen war anscheinend aus einem einzigen Stück feinem Draht gedreht, dann erhitzt und ungleichmäßig in das Leder gedrückt worden, das an manchen Stellen angesengt war. Direkt unterhalb des unteren Randes des Lederflickens war ein kleines, gefaltetes Schildchen eingenäht, eine weiße, gewebte Bordüre, und maschinell mit drei scharf umrissenen schwarzen Punkten bestickt, die zu einem Dreieck angeordnet waren. Die Größe?
    Ihr Blick wurde wieder von dem Markenzeichen angezogen — dem Hund mit seinem nichtssagenden Kewpie-Gesicht.

    »Zwanzig Unzen«, sagte die Denim-Expertin mit dem hübsch graumelierten Haar, die Gabriel-Hounds-Jacke vor sich auf einer dreißig Zentimeter dicken Platte aus Hartholz ausgebreitet, die wiederum auf etwas ruhte, das Hollis für die gusseisernen Beine einer Industriedrehbank hielt. »Flammengarn.« »Flammengarn.«
    Sie fuhr mit leichter Hand über den Ärmel der Jacke. »Deshalb ist das Gewebe so rauh.«
    »Ist das japanischer Denim?«
    Die Frau zog die Augenbrauen hoch. Heute war sie in Tweed gekleidet, der aussah, als seien die Dornen dringelassen worden, in Khaki, der so oft gewaschen worden war, dass er jede Farbe verloren hatte, und Oxfordstoff, so grob, dass er handgewebt wirkte; außerdem trug sie zwei ausgefranste Paisleykrawatten von sonderbarer, aber unterschiedlicher Breite. »Die Amerikaner haben vergessen, wie man einen solchen Denimstoff herstellt. Vielleicht ist er in Japan gewebt. Vielleicht auch nicht. Woher haben Sie die Jacke?«
    »Sie gehört einem Freund.«
    »Gefällt sie Ihnen?«
    »Ich habe sie noch nicht anprobiert.«
    »Nicht?« Die Frau trat hinter Hollis und half ihr, den Mantel auszuziehen. Dann nahm sie die Jeansjacke und half ihr hinein.
    Hollis betrachtete sich im Spiegel. Streckte sich. Lächelte. »Nicht übel«, sagte sie und schlug den Kragen hoch. »So was habe ich schon seit zwanzig Jahren nicht mehr getragen.«
    »Passt ausgezeichnet«, sagte die Japanerin und legte Hollis beide Hände auf den Rücken, direkt unterhalb der Schulterblätter. »Schultern mit mehr Bewegungsfreiheit. Dehnbare Bänder, die sie in Form halten. Wie bei den Handwerkerjacken von HD Lee von Anfang der Fünfziger.«
    »Wenn der Stoff aus Japan stammt, ist die Jacke dann auch in Japan angefertigt?«
    »Möglich. Verarbeitungsqualität und Details sind einwandfrei, aber ... Japan? Tunesien. Selbst Kalifornien?«
    »Sie können mir nicht zufällig sagen, wo ich eine solche Jacke bekommen könnte? Oder etwas anderes derselben Marke?« Aus irgendeinem Grund wollte sie den Namen nicht aussprechen.
    Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Sie wissen, was ›Geheimmarken‹ sind? Verstehen Sie?«
    »Ich glaube schon«, erwiderte sie skeptisch.
    »Diese Marke ist sehr geheim«, sagte die Japanerin. »Ich kann Ihnen nicht helfen.«
    »Aber das haben Sie doch schon«, entgegnete Hollis. »Vielen Dank.« Plötzlich wollte sie nur noch raus aus diesem spartanisch eingerichteten kleinen Laden, aus dem Moschusmief des Indigo. »Vielen, vielen Dank!« Sie zog ihren Mantel an, über die Gabriel-Hounds- Jacke. »Vielen Dank. Auf Wiedersehen.«
    Draußen, auf der Upper James Street, eilte ein junger Kerl an ihr vorbei, eine dünne schwarze Wollmütze bis auf Augenhöhe hinuntergezogen. Ganz in Schwarz, mit Ausnahme seines weißen, schlecht rasierten Gesichts und den vom Pflaster beschmutzten weißen Rändern der Sohlen seiner schwarzen Schuhe.
    »Clammy«, sagte sie automatisch, als er an ihr

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