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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Notlaufreifen auf Asphalt nicht eben ein Vergnügen, so wurde es auf Kopfsteinpflaster noch schlimmer. Er lehnte sich zurück und hielt die rote Pappröhre fest umklammert, während der Fahrer um endlos viele Straßenecken bog, wobei er sich in etwa parallel zur Tottenham Court Road hielt. Unterwegs ins Herz der Stadt, nach Soho.

    Rausch, dessen schwarzes Haar so kurz geschnitten war, dass es beinahe durchscheinend und irgendwie aufgesprüht wirkte, wartete vor dem Gebäude von Blue Ant auf sie. Der Fahrer hatte ihre Ankunft telefonisch angekündigt, als sie noch im dichten Verkehr auf der Beak Street vorangekrochen waren. Rausch hielt sich eine Zeitschrift über den Kopf, als Schutz vor dem Nieselregen. Seine Kleidung sah wie immer auf eigentümliche Weise unordentlich aus. Alles an ihm war darauf angelegt, den Eindruck müheloser Präzision zu machen, kam dabei jedoch nie ganz an das Ideal heran. Sein enger schwarzer Anzug hatte Knitterfalten und war an den Knien ausgebeult. Und als er einen Arm über den Kopf gereckt hatte, um die Zeitschrift über sich zu halten, war sein weißes Hemd aus der Hose gerutscht. Seine Brille, die ihn aussehen ließ, als würde er ständig blinzeln, musste dringend geputzt werden.
    »Danke«, sagte Milgrim, als der Fahrer auf einen Knopf drückte, um die Tür auf der Beifahrerseite zu entriegeln. Der Fahrer schwieg. Sie befanden sich hinter einem schwarzen Taxi, noch nicht ganz vor dem Blue-Ant-Gebäude.
    Als Milgrim die Tür öffnete, schwang diese aufgrund ihres großen Gewichts mit beängstigender Schnelligkeit auf. Sie wurde von einem Paar kurzer, dicker Nylonbänder gehalten, die verhinderten, dass sie sich selbst aus den Angeln riss. Er kletterte hinaus, die rote Röhre und seine Tasche an sich gedrückt, und erhaschte dabei einen kurzen Blick auf die rote Flasche des Feuerlöschers unter dem Beifahrersitz. Dann versuchte er, die Tür mit der Schulter zu schließen. »Autsch«, sagte er. Er stellte die Tasche ab, klemmte sich die Röhre unter den Arm und benutzte die andere Hand, um die gepanzerte Tür zuzuwerfen.
    Rausch beugte sich vor, um seine Tasche aufzuheben.
    »Er hat die Pinkelprobe«, sagte Milgrim und deutete auf den Pickup.
    Rausch richtete sich auf und verzog peinlich berührt das Gesicht. »Ja. Er bringt sie ins Labor.«
    Milgrim nickte und ließ den Blick über den Fußgängerstrom schweifen, der ihn in Soho immer faszinierte.
    »Sie warten schon«, sagte Rausch.
    Milgrim folgte ihm in das Blue-Ant-Gebäude. Rausch hielt einen Sicherheitsausweis über eine Metallfläche, um die Tut zu entriegeln, die aus einer einzelnen Scheibe fünf Zentimeter dicken, grünlichen Glases bestand.
    Der Eingangsbereich wirkte wie eine Mischung aus einer unerhört teuren privaten Kunstakademie und einer Einrichtung des Verteidigungsministeriums, wenngleich sich Milgrim nach genauerer Überlegung eingestehen musste, dass er weder das eine noch das andere jemals von innen gesehen hatte. In der Mitte der Halle hing ein riesiger Kronleuchter, der aus den Gläsern Tausender abgelegter Kassenbrillen bestand und hervorragend zu dem Kunstakademie-Aspekt passte. Der Pentagon-Aspekt (oder wäre Whitehall angemessener?) war schwieriger festzumachen. Ein halbes Dutzend großer Plasmabildschirme zeigte ständig das neueste Produkt des Hauses, größtenteils europäische und japanische Autowerbespots, deren Produktionsbudgets die der meisten Kinofilme in den Schatten stellten, während darunter Menschen hin und her liefen, die ebensolche Ausweise be saßen wie Rausch. Sie wurden um den Hals getragen, an verschiedenfarbigen Bändern, einige mit den Logos bestimmter Marken oder Projekte verziert. Der Duft außergewöhnlich guten Kaffees hing in der Luft.
    Milgrim richtete den Blick gehorsam auf ein großes rotes Pluszeichen an der Wand hinter dem Sicherheitsschalter. Eine automatische Kamera bewegte sich träge hinter einem kleinen, quadratischen Fenster, wie ein Tier in einem hochmodernen Reptilienhaus. Kurz darauf erhielt er ein großes Foto von sich, in äußerst schlechter Auflösung, das an einem hässlichen grünlichgelben Band ohne Markenlogo hing. Wie immer kam ihm der Verdacht, dass es sich dabei zumindest zum Teil auch um eine weithin sichtbare Zielscheibe handelte, sollte sich dies aus irgendeinem Grund als nötig erweisen. Er hängte sich das Foto um den Hals. »Kaffee«, sagte er.
    »Nein«, erwiderte Rausch. »Sie warten.« Aber Milgrim war bereits unterwegs zur Cappuccinostation in

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