System Neustart
war, putzte er sich die Zähne mit einer batteriebetriebenen Bürste und spülte dann mit Wasser aus einer Glasflasche nach, deren tiefblaue Farbe ihn an Bigends Anzug erinnerte. Pantone 286, hatte er Milgrim gesagt, aber nicht ganz. Was Bigend an diesem Farbton am meisten zu gefallen schien, war die Tatsache, dass er von den meisten Computerbildschirmen nicht richtig dargestellt werden konnte.
Das Mundwasser, das einen Stoff enthielt, der im Leitungswasser in Flugzeugen Verwendung fand, war inzwischen aufgebraucht. Man durfte nur eine geringe Menge Flüssigkeit mit ins Flugzeug nehmen, und Milgrim hatte kein Gepäck eingecheckt. In Myrtle Beach hatte er sich bereits die Reste des Mundwassers einteilen müssen. Er würde jemand bei Blue Ant fragen. Sie hatten dort Leute, die so gut wie alles auftreiben konnten.
Er schaltete das Licht aus und trat neben das Bett, um sich auszuziehen. In dem Zimmer standen einen Tick zu viele Möbel, darunter eine Schneiderpuppe, die mit demselben hellbraunen Material bezogen war wie der Sessel. Er überlegte, ob er seine Hose in den Bügler legen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er würde morgen einkaufen gehen. Bei einer Kette namens Hackett. So etwas wie Banana Republic, nur exklusiver, allerdings mit Ambitionen, die er nicht nachvollziehen konnte. Er schlug gerade die Bettdecke zurück, als das Neo läutete und dabei das mechanische Klingeln eines alten Telefons nachahmte. Das war bestimmt Sleight.
»Lassen Sie morgen das Telefon auf Ihrem Zimmer«, sagte Sleight. »Eingeschaltet, im Ladegerät.« Er klang verärgert.
»Wie geht es Ihnen, Oliver?«
»Die Firma, die diese Dinger herstellt, ist pleitegegangen«, sagte Sleight. »Deshalb müssen wir morgen etwas an der Programmierung ändern.« Er legte auf.
»Gute Nacht«, sagte Milgrim und betrachtete das Neo in seiner Hand. Er legte es auf den Nachttisch, stieg in Unterwäsche ins Bett und zog sich die Decke bis zum Kinn hoch. Dann schaltete er das Licht aus. Er fuhr mit der Zunge über die Innenseiten seiner Zähne. Im Zimmer war es etwas zu warm, und irgendwie war er sich der Anwesenheit der Schneiderpuppe überdeutlich bewusst.
Er lauschte auf die Hintergrundfrequenz Londons oder spürte sie jedenfalls. Ein weißes Rauschen.
9. Schwanzlurch
Als sie die Vordertür des Cabinet öffnete, war der nadelgestreifte Robert nicht da, um ihr dabei zu helfen.
Was, wie sie sofort sah, an der gestiefelten Ankunft von Heidi Hyde - ehemals Drummerin von The Curfew — lag, mit deren Gepäck Robert jetzt behängt war. Er stand, ganz offensichtlich völlig verängstigt, hinten in der Fahrstuhlgrotte, in der Nähe der Vitrine mit Inchmales Frettchen. Und neben ihm stand Heidi, die genauso groß war wie er und womöglich ebenso breite Schultern hatte. Das erhabene Raubvogelprofil war unverkennbar, und genauso unverkennbar war sie wütend.
»Wurde sie erwartet?«, fragte Hollis mit leiser Stimme den Jungen mit dem Schildpattgestell, der am Empfang saß.
»Nein«, sagte er ebenso leise und reichte ihr den Zimmerschlüssel. »Mr. Inchmale hat vor wenigen Minuten angerufen, um uns Bescheid zu geben.« Seine Augen hinter dem braunen Gestell waren weit aufgerissen. Obwohl er das Pokergesicht eines routinierten Hotelangestellten aufgesetzt hatte, wirkte er wie jemand, der eben einen Tornado überlebt hat.
»Das wird schon wieder«, versicherte Hollis ihm.
»Warum funktioniert dieses Scheißding nicht?«, zeterte Heidi.
»Manchmal kommt es durcheinander«, sagte Hollis und trat zu den beiden, wobei sie Robert zunickte und ihm ein beruhigendes Lächeln schenkte.
»Miss Henry.« Robert war blass.
»Du darfst nur einmal draufdrücken«, sagte Hollis zu Heidi. »Sonst dauert es länger, bis es sich entschieden hat.«
»Scheiße«, sagte Heidi zutiefst frustriert, und Robert zuckte zusammen. Ihre Haare waren gothic-schwarz getönt, woran zu erkennen war, dass sie sich auf dem Kriegspfad befand, und Hollis vermutete, dass sie sie selbst gefärbt hatte.
»Ich wusste nicht, dass du kommst«, sagte Hollis.
»Ich ebenso wenig«, erwiderte Heidi grimmig. Dann: »Schwanzlurch ist schuld.«
Hollis begriff sogleich, dass Heidis unmögliche Sub-Hollywood-Ehe Vergangenheit war. Heidis Ex-Männer verloren bei der Scheidung ihre Namen und wurden künftig nur noch mit dieser pauschalen Bezeichnung bedacht.
»Das tut mir leid«, sagte Hollis.
»Er hat sich an einem Ponzi-Spiel versucht«, sagte Heidi, als der Fahrstuhl eintraf. »Was zum
Weitere Kostenlose Bücher