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werden.
»Die Japaner nennen so etwas eine ›Geheimmarke‹«, sagte Hollis. »Nur dass die hier noch geheimer ist. Die Jacke ist möglicherweise in Japan angefertigt worden. So etwas wird nicht über herkömmliche Läden vertrieben, es gibt keine Kataloge und keine Internetpräsenz, von ein paar kryptischen Erwähnungen auf Modeblogs abgesehen. Und eBay. Die Chinesen haben angefangen, sie zu fälschen, aber nur schlecht, mit minimalem Aufwand. Wenn ein echtes Stück auf eBay auftaucht, gibt jemand ein Gebot ab, das den Verkäufer veranlasst, die Auktion abzubrechen.« Sie wandte sich an Pamela. »Woher haben Sie diese Jacke?«
»Wir haben inseriert. Vor allem in Modeforen. Irgendwann haben wir einen Händler gefunden, in Amsterdam, und seinen Preis bezahlt. Normalerweise handelt er mit ungetragenen Stücken anonym entworfener Arbeitskleidung aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.«
»Tatsächlich?«
»Offenbar lässt sich das mit Briefmarken vergleichen, nur dass man sie anziehen kann. Ein Teil seiner Kundschaft schätzt Gabriel Hounds. Allerdings sind wir der Meinung, dass diese nur eine Minderheit unter der potentiellen Zielgruppe der Marke darstellt. Wir vermuten, dass sich das aktive globale Bewusstsein für diese Marke, also die Leute, die sich beträchtliche Mühe geben, um sie aufzuspüren, auf nicht mehr als wenige Tausend beläuft.«
»Woher hatte der Händler in Amsterdam sie?«
»Er behauptete, sie zusammen mit anderen auf alt gemachten Kleidungsstücken von einem Scout erworben zu haben, ohne zu wissen, um was es sich handelte. Angeblich hat er sie für japanische Nachahmungen in Otaku-Qualität gehalten und geglaubt, sie problemlos verkaufen zu können.«
»Ein Scout?«
»Jemand, der nach Dingen sucht, die er Händlern verkaufen kann. Er hat gesagt, der Scout sei ein Deutscher gewesen. Er hätte bar bezahlt. Und er könnte sich an keinen Namen erinnern.«
»So ein großes Geheimnis kann es nicht sein«, sagte Hollis. »Seit dem Frühstück habe ich zwei Leute gefunden, die mindestens so viel darüber wussten, wie ich Ihnen erzählt habe.«
»Und die wären?« Bigend beugte sich vor.
»Eine Japanerin in einem ziemlich teuren Fachgeschäft ganz in der Nähe von Blue Ant.«
»Aha«, sagte er, offensichtlich enttäuscht.
»Ein junger Mann, der in Melbourne ein Paar Jeans gekauft hat.«
»Wirklich?«, sagte Bigend, und seine Miene hellte sich auf. »Und hat er Ihnen gesagt, von wem er sie gekauft hat?«
Hollis nahm sich eine Scheibe des pergamentartigen Schinkens, rollte sie zusammen und tunkte sie in Olivenöl. »Nein. Aber ich glaube, das wird er noch.«
8. Kürettage
Milgrim putzte sich in dem hell und dabei doch schmeichelhaft erleuchteten Bad seines Hotelzimmers die Zähne. Das Bad war zwar klein, aber eindeutig von gehobenem Standard. Er dachte über Hollis Henry nach, die Frau, die Bigend in das Restaurant mitgebracht hatte. Sie schien bei Blue Ant nicht fest angestellt zu sein. Außerdem kam sie ihm irgendwie bekannt vor. Milgrims Erinnerungen an das vergangene Jahrzehnt waren lückenhaft und unzuverlässig, was die Abfolge der Ereignisse betraf, aber er glaubte nicht, dass er der Frau schon einmal begegnet war. Dennoch hatte er das Gefühl, sie zu kennen. Er wechselte den Kopf der Minibürste, die er benutzte, um seine oberen hinteren Backenzähne zu putzen, und entschied sich für einen kegelförmigen Aufsatz. Morgen früh würde er vielleicht wieder wissen, wer sie war. Und wenn nicht, dann gab es in der Eingangshalle ein MacBook, das den Gästen kostenlos zur Verfügung stand, was auf jeden Fall besser war, als mit dem Neo zu googeln. Sie hatte einen recht freundlichen Eindruck gemacht, diese Hollis Henry, nur Bigend mochte sie anscheinend nicht besonders. So viel hatte Milgrim auf dem Weg zur Frith Street mitbekommen.
Er wechselte zu einem anderen Zahnputzwerkzeug, einem, in dem anderthalb Zentimeter lange Fäden Zahnseide in austauschbaren U-förmigen Plastikaufsätzen eingespannt waren. In Basel hatten sie seine Zähne auf Vordermann gebracht und ihn einige Male zu einem Parodontalspezialisten geschickt. Zur Kürettage. Äußerst unangenehm, aber nun hatte er das Gefühl, einen neuen Mund zu besitzen, wenn auch einen mit einem hohen Pflegeaufwand. Davon einmal abgesehen war das Beste an der ganzen Prozedur gewesen, dass er auf dem Weg zu den Behandlungsterminen etwas von Basel gesehen hatte. Sonst war er, wie vereinbart, in der Klinik geblieben.
Als er mit der Zahnseide fertig
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