T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
denn je einen ›guten Zeitpunkt‹?«, fragte Ava.
»Es gab bessere Zeiten.« Dr. McPherson stieß sich vom Kamin ab und straffte die Schultern. Joe Biggs verstand ihren Wink.
»Ich bin froh, dass wir das geklärt haben«, sagte er.
Ach? Wirklich?
Ava starrte Biggs an, als sei er verrückt geworden, doch wenn er den Zweifel in ihren Augen bemerkte, ignorierte er ihn. Er stülpte sich seinen Hut auf den Kopf, erhob sich schwerfällig aus dem Sessel und setzte sich in Bewegung.
»Vielen Dank, Joe«, sagte Wyatt. Der massige Mann blieb stehen. »Ich weiß, wie unangenehm das Ganze ist.«
»Das gehört eben zu meiner Arbeit.« Biggs schüttelte Wyatt die Hand, dann stapfte er Richtung Küche. Sie hörten, wie die Hintertür quietschend aufging.
Avas Finger schlossen sich fest um den unbekannten Schlüssel in ihrer Jackentasche. Sie hatte keine Ahnung, warum sie glaubte, er spiele eine bedeutende Rolle. Wobei, wusste sie nicht, auch nicht, wer ihn ihr zugesteckt hatte, doch sie glaubte nicht, dass es versehentlich geschehen war. Der Schlüssel war wichtig.
Sie musste unbedingt herausfinden, wofür.
Was zum Teufel war nur in ihn gefahren?, fragte sich Austin Dern, als er den Schotterweg zum Stall entlangmarschierte. Dort hatte man die kleine Pferdeherde untergebracht, für die er nun unter anderem zuständig war.
Die ganze Insel hätte glatt aus einem der Hitchcock-Filme stammen können, die seine an Schlaflosigkeit leidende Mutter bis tief in die Nacht hinein zu schauen pflegte.
Er warf einen Blick über die Schulter und betrachtete noch einmal das Haus, ein gewaltiges, weitläufiges Ungetüm mit einem Turm, der wie der lange Zahn aus dem Unterkiefer eines Monsters in den Nachthimmel ragte und die Wolken aufspießte, die tief über der Insel lagen. Neptune’s Gate … Wer wohl auf diesen Namen gekommen war? Er nahm an, dass das Gebäude schon vor langer Zeit so getauft wurde, vermutlich von seinem ursprünglichen Besitzer, einem Kapitän, der sich hier niedergelassen und eine Sägemühle errichtet hatte. Damals gab es in Washington und Oregon Tausende Hektar unberührten Wald.
Nun, der alte Stephen Monroe Church hatte also eine durchgedrehte Ururenkelin in seiner langen Reihe von Nachfahren, Ava Church Garrison. Schön, oder beinahe betörend, wenn man an so etwas glaubte. Was Dern nicht tat. Mit ihren großen Augen, die so grau waren wie das Wasser des Pazifiks im Winter, den hohen Wangenknochen und dem ausgeprägten Kinn zeigte sie sämtliche Attribute echter Schönheit, wenngleich sie für seinen Geschmack viel zu dünn war. Abgemagert. Doch das war sie bestimmt nicht immer gewesen.
Er ging hinüber zum Pferdestall, öffnete das Tor und vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war. Sobald er das trockene Heu, den Staub und das geölte Leder roch, unterschwellig vermischt mit dem Geruch nach Urin und Pferdeäpfeln, wurde ihm wohler. Die Pferde raschelten im Stroh und wieherten ab und an leise – tröstliche Geräusche. Er war schon immer lieber in der Gesellschaft von Tieren als mit Menschen zusammen gewesen, was ihm seine heutige Begegnung mit den Bewohnern von Neptune’s Gate wieder einmal bestätigt hatte. Offenbar war er in ein Schlangennest geraten.
Er schloss das Tor hinter sich und ging die Außentreppe hinauf zu dem über dem Stall liegenden Apartment, das von jetzt an sein Zuhause war, zumindest für kurze Zeit. Es war klein, nur ein Zimmer, halb so groß wie die Bibliothek, in der er vorhin dem Gespräch zwischen den Mitgliedern der Familie Church, den Angestellten, der Therapeutin und dem Sheriff beigewohnt hatte. Die Grenze zwischen Familie und Angestellten war innerhalb dieses Kreises leicht verwischt: Bei manchen der Angestellten handelte es sich um Verwandte; auch der Sheriff war mit Khloe Prescott verwandt, die wiederum die Kinderfrau des verschwundenen Jungen gewesen war und die nach jener schicksalhaften Nacht in Neptune’s Gate geblieben war, um sich um Ava zu kümmern, ihre ehemalige beste Freundin.
Das Ganze war ein einziges Rätsel.
Er ahnte, dass sie alle etwas zu verbergen hatten. Jeder Einzelne von ihnen. Einschließlich der abgemagerten Ava Garrison. Das spürte er.
Sein Zimmer war schlicht, um nicht zu sagen spartanisch eingerichtet: ein Sofa, das sich zu einem unbequemen Bett umfunktionieren ließ, ein Klapptisch mit einer fleckigen, zerschrammten Platte, ein Sessel und ein Fernseher, der vermutlich noch aus den frühen Achtzigern stammte. Ein dunkelgrün
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