T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
hatte eben den letzten Bissen hinuntergeschluckt, als Wyatt endlich auflegte.
»Entschuldige«, sagte er, »Orson Donnelly brauchte wieder mal moralische Unterstützung.« Er lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. »Ganz im Vertrauen: Er ist eine echte Nervensäge.«
»Ist das der Klient, der dir Dern empfohlen hat?«, fragte sie.
»Genau. Dern hat für den Junior gearbeitet, bevor der Senior die Ranch verkaufte. Er hat erwähnt, dass sein ehemaliger Angestellter dadurch arbeitslos würde, und weil Ned bereits in Arizona war und Ian sich … nun ja, wenig begeistert von der Rancharbeit zeigte, habe ich ihn angerufen. Er hat mir seine Referenzen gefaxt, und ich habe mir von Donnelly versichern lassen, dass nicht Dern der Grund dafür war, dass es mit seiner Ranch den Bach runterging. Dann habe ich ihn engagiert.« Er legte den Kopf schief. »Hast du ein Problem mit dem Mann?«
»Ich war nur neugierig, weil er so plötzlich hier auftauchte. All die anderen, die hier arbeiten, kannte ich schon vorher, außer Simon, aber den haben wir ja über Khloe kennengelernt.« Das entsprach durchaus der Wahrheit. Graciela war eine Freundin von Tanyas jüngerer Schwester, eine Einheimische aus Anchorville. Auch Demetria hatte auf der anderen Seite der Bucht gewohnt, doch sie hatte in Sea Cliff gearbeitet, bevor sie als Jewel-Annes persönliche Pflegerin engagiert wurde. Selbst Ned war ein Freund von Onkel Crispin gewesen, als er damals eingestellt wurde.
Dern war der einzige Fremde.
»Ich dachte, ich gebe Ian die Chance, seine wahre Berufung zu finden.« Einer von Wyatts Mundwinkeln zuckte in die Höhe. Er beugte sich vor, einen Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, und fragte: »Möchtest du über deinen Alptraum reden?«
»Nein.«
»Dann ging es also wieder um Noah.«
Sie machte sich nicht die Mühe zu antworten, doch das war auch nicht nötig.
»Das ist einer der Gründe, warum du Medikamente bekommst. Damit du dich ausruhen kannst. Ruhigen Schlaf findest. Ich als Laie vermute, dass entweder die Dosis nicht stimmt oder dass du deine Tabletten verweigerst.«
»Hmm«, erwiderte sie.
Sein Gesicht verdunkelte sich. »Du hast also lieber Wahnvorstellungen, ertrinkst beinahe oder lässt dich von schrecklichen Alpträumen quälen, als dass du deine Tabletten nimmst?« Als sie nichts darauf sagte, fuhr er fort: »Ich weiß, dass du dich nicht mit Medikamenten vollpumpen lassen willst. Das verstehe ich. Aber du tust dir selbst und uns keinen Gefallen damit, wenn wir uns ständig um dich Sorgen machen müssen. Wäre Dern an jenem Abend nicht zufällig in der Nähe gewesen … Ich mag mir gar nicht vorstellen, was dann passiert wäre.«
»Ich kann schwimmen.«
»Ava.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn du nicht ertrunken wärst, wärst du an Unterkühlung gestorben … du warst doch gar nicht du selbst! Wer weiß, ob du tatsächlich in der Lage gewesen wärst, dich zu retten!« Er stieß einen Laut der Verzweiflung aus. »Ich weiß einfach nicht mehr, was ich tun soll.«
»Wie wär’s, wenn du versuchen würdest, dich ein bisschen zurückzuhalten?«
»Und in Kauf nehmen, dass du dir Schaden zufügst? Das kannst du doch nicht ernst meinen!«
»Was willst du mir in Wahrheit sagen, Wyatt? Dass ich wieder nach St. Brendan gehen soll? In die Nervenklinik?«
»Nein!« Er blickte sie scharf an. »Natürlich nicht. Doch langsam gehen mir die Möglichkeiten aus.« Er wedelte mit den Fingern durch die Luft, wie um weiteren Einspruch abzuwenden. »Ich wünschte mir einfach, du würdest aufhören, mich zu bekämpfen. Auch ich habe meinen Sohn verloren. Und nun setze ich alles daran, nicht auch noch meine Frau zu verlieren.«
Ihre Kehle schnürte sich zusammen, Tränen stiegen ihr in die Augen, wie immer, wenn er freundlich zu ihr war.
»Er lebt.«
»Ich würde das selbst gern glauben. Wirklich. Aber ganz gleich, ob Noah lebt oder … nicht, er ist fort, Ava. Das musst du akzeptieren. Er wird nicht zurückkommen. Wenn er an jenem Abend entführt wurde, warum ist dann nie jemand mit uns in Kontakt getreten? Warum gab es keine Lösegeldforderung? Und … und wenn man ihn an ein Ehepaar verkauft hat, das sich verzweifelt nach einem Kind sehnte, warum hat man ihn dann nicht gefunden? Die Medien waren voll mit Fotos von ihm, die Zeitungen, das Fernsehen, die sozialen Netzwerke. Das Radio hat über den Fall berichtet. Wir haben alles versucht. Denk nur mal daran, was für ein Rummel das war!«
Das tat sie.
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