T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
Jene ersten Tage waren voller Hoffnung gewesen, vermischt mit Verzweiflung, Panik und der lähmenden Angst, dass sein Leichnam entdeckt wurde.
In Wyatts Gesicht stand Sorge. »Du musst dich den Tatsachen stellen, Ava. Noah ist fort. Auch mich bringt das um.«
»Aber ich habe letzte Nacht gehört, wie er geweint hat!«
»Du hast geträumt!«
»Nein, die Schluchzer kamen aus seinem Zimmer.«
»Vielleicht war es der Wind oder … ach, dieses alte Haus macht ständig irgendwelche merkwürdigen Geräusche, die dein Unterbewusstsein in deinen Traum gemischt hat.«
»Ich weiß, was ich gehört habe«, widersprach sie. Aus dem Augenwinkel sah sie Jewel-Anne zum Aufzug rollen. Ihre Cousine schaute durch die offene Arbeitszimmertür, doch Ava hatte den Blick bereits abgewandt.
Wyatt stand auf, ging um seinen Schreibtisch herum und schloss leise, aber bestimmt die Tür. Dann durchquerte er das Zimmer und blieb direkt vor seiner Frau stehen. »Ava, bitte, ich versuche nur, hier alles zusammenzuhalten.«
»Und ich versuche nicht, dich daran zu hindern, Wyatt«, sagte sie, die Stimme rau vor Emotionen, »doch ich möchte alles Erdenkliche tun, um herauszufinden, was mit Noah passiert ist.«
»Selbst wenn du dafür deine Gesundheit opfern musst? Unsere Ehe?«
»Ich möchte nichts opfern, Wyatt. Und das sollte auch gar nicht nötig sein. Ich möchte bloß unser Kind finden. Und das wird mir gelingen.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, stand sie auf und verließ das Arbeitszimmer.
Kapitel sechzehn
E r versteht es nicht, dachte Ava am nächsten Morgen, als sie ihren Strickmantel anzog. Wyatt verstand sie nicht, und deshalb wollte oder konnte er ihr nicht helfen. Nach ihrer Rückkehr aus St. Brendan hatten weder sie noch er das Thema Scheidung angeschnitten. Es war, als hätten sie eine stillschweigende Übereinkunft getroffen, an ihrer Beziehung zu arbeiten, statt die Scheidungspapiere einzureichen.
Doch es funktionierte nicht.
Das war ihnen beiden klar.
Wyatt hatte sie zum Abschied geküsst, bevor er gestern zum Festland übergesetzt hatte, doch er hatte den Kuss auf ihre Stirn gehaucht. Flüchtig. Wie eine Pflicht.
Ihre Beziehung war kompliziert. Vermutlich war sie das von Anfang an gewesen, doch damals war sie jung, naiv, und hatte ihre Ehe lieber nicht genau unter die Lupe nehmen wollen.
Ava steckte ihr Handy ein, nahm ihre Handtasche und war schon auf dem Weg nach draußen, als sie Ian begegnete.
»Ich fahre in die Stadt, um Trent abzuholen«, sagte er. »Brauchst du etwas?«
»Trent ist hier?« Ians Zwilling lebte in Seattle.
»In Anchorville. Er hat mir vor ein paar Stunden eine SMS geschickt und mich gebeten, ihn abzuholen. Er sagte, er habe versucht, dich zu erreichen, aber du seist nicht ans Handy gegangen.«
Sie blickte ihn fragend an.
»Dein Mann hat ihn eingeladen.«
»Wyatt hat mir nichts erzählt«, entgegnete Ava.
Ian zuckte die Achseln. »Nun, das ist ja auch keine große Sache. Kann mir nicht vorstellen, dass er ein Geheimnis daraus machen wollte.«
Vermutlich hatte Ian recht. Nein, sie wollte nicht schon wieder misstrauisch sein. »Nimmst du mich mit rüber?«
»Klar. Was hast du vor, Geschäft oder Vergnügen?«, fragte er, als sie zusammen zum Bootshaus gingen.
»Was glaubst du denn?«
Er lachte. »Dass im Augenblick bei beidem nicht viel läuft.«
Als sie an der Pier vorbeikamen, warf sie einen Blick auf die grau werdenden Planken und versuchte, sich davon zu überzeugen, dass sie Noah nicht gesehen hatte, dass ihr der Nebel und ihr ach-so-bereitwilliger Verstand einen Streich gespielt hatten.
Nichts als Blendwerk.
Ian brachte sie mit dem Boot nach Anchorville und bot ihr an, sie später abzuholen, doch sie lehnte ab und verabschiedete sich von ihm, damit er seinen Zwillingsbruder im Salty Dog treffen konnte.
Erste Station: das Polizeidezernat von Anchorville, wo sie einen Termin bei Detective Wesley Snyder vereinbart hatte.
»Es tut mir leid, Mrs. Garrison, aber wir haben keine neuen Hinweise«, sagte Detective Snyder, der auf der anderen Seite des zerschrammten Schreibtisches saß. Das Licht der Deckenbeleuchtung spiegelte sich in seiner Glatze, während er sie mit aufrichtiger Besorgnis anblickte. Sein »Büro« war einer von mehreren, mit halbhohen Wänden quadratisch abgetrennten Arbeitsplätzen in einem Großraumbüro, was eine gewisse Privatsphäre vermitteln sollte. Über die Trennwände hinweg war jedoch eine Kakophonie von Geräuschen zu vernehmen: das Klingeln der
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