Tabu: Roman (German Edition)
fuhr mit dem Wagen zu schnell nach Hause, Sebastian spürte den Gurt an seinem Hals. Der Macher und die Mutter gingen sofort zu Bett. Sebastian las noch eine Zeit lang in dem Gedichtband. Dann stand er auf und ging in den Garten, um zu rauchen, die Mutter hatte es im Haus verboten.
Im Schlafzimmer brannte Licht. Der Macher stand nackt vor dem Bett, seine Mutter schlief. Er hielt eine Videokamera in der Hand, die rote Diode für die Aufnahme blinkte. Mit der anderen Hand masturbierte der Macher. Sebastian sah sich selbst in der großen Panoramascheibe.
Er ging hoch in das Zimmer unter dem Dach und setzte sich an den Plexiglasschreibtisch vor dem Fenster. Er wollte einen Brief schreiben, aber er wusste nicht an wen. Er starrte auf die Spitze des Bleistifts. Dann holte er aus seinem Koffer ein Opinelmesser mit Holzgriff, das er sonst immer auf seine Wanderungen mitnahm. Er schnitt sich die Kuppe des linken Zeigefingers ab. Er sah zu, wie das Blut hervorquoll und auf den Schreibtisch tropfte. Für einen Moment fühlte er sich lebendig. Dann ging er ins Badezimmer und verband die Wunde.
Sebastians Mutter und der Macher heirateten ein knappes Jahr später. Sie feierten in einem Schlosshotel, das der Macher von einer Vertretertagung kannte. Das Brautpaar fuhr in einer Kutsche zum Standesamt, die Mutter trug ein weißes Kleid. Vor dem Hotel war ein Zelt aufgebaut, ein Alleinunterhalter mit Hammondorgel machte Musik. Man dürfe nur dort draußen tanzen, das Parkett im Schloss sei zu empfindlich, hatte der Hoteldirektor gesagt.
Für den Brautwalzer hatte der Macher Tanzstunden genommen. Trotzdem stolperte er und fiel hart auf den Bretterboden. Die Musik setzte kurz aus, eine Frau hielt sich die Hand vor den Mund. Als der Macher aufstand, war seine Hose voller Staub. Die Gäste applaudierten, ein angetrunkener Mann rief, das sei ein gutes Zeichen für die Ehe, und alle lachten.
Sebastian verließ das Zelt. Dann hörte er seine Mutter. Sie hatte den Macher untergehakt und ihn nach draußen gebracht. Sie stritten miteinander, der Macher schüttelte heftig den Kopf und riss sich los.
Der Macher ging hoch zum erleuchteten Schloss, er humpelte. Eine Katze schlief auf den Steinstufen vor dem Eingang, sie bewegte die Pfoten im Schlaf. Der Macher sah sich um. Dann trat er mit der Spitze seines Lackschuhs in den Bauch der Katze.
10
Zwei Jahre später machte Sebastian das Abitur. Der Pater stand in der Stiftskirche am Altar. Er wünschte den Schülern Glück. Es war eine lange Predigt, er hielt sie jedes Jahr. Er sagte, die Abiturienten seien nun entlassen, sie müssten jetzt ihre eigenen Fehler machen, ihr Leben würde heute beginnen. Er wünsche sich, dass sie die Welt besser hinterließen, als sie heute sei. Nach der Predigt spielten Schüler zwei Sätze aus dem Forellenquintett.
Sebastians Mutter hatte nicht kommen können, »die Nerven«, hatte sie gesagt.
Sebastian ging nach der Messe in sein Zimmer. In der letzten Woche vor der Abschlussfeier hatten große Unternehmen ihre Stände in den Fluren des Internats aufgebaut. Er hatte Angebote für Traineeprogramme und Berufsakademien bekommen, ein Waschmittelhersteller wollte sein Studium finanzieren. Er setzte sich an seinen Schreibtisch. Von hier aus konnte er den Lukmanierpass sehen, er dachte an seine Wanderungen durch den Talboden des Rheinwalds und an die wandernden Lichter in den Kastanienwäldern des Val San Giacomo. Er war fast neun Jahre in dem Internat gewesen. Er nahm die Visitenkarten und warf sie in den Papierkorb.
Er fuhr mit dem Zug nach Freiburg, dort nahm er den Bus und trug den Koffer fast einen Kilometer bis nach Hause. Er klingelte, der neue Hund seiner Mutter bellte. Das Licht ging an, er hörte, wie der Macher den Hund anschrie. Seine Mutter öffnete, sie trug eine Halskrause. Sie hätten ihn erst morgen erwartet, sagte sie, irgendetwas habe sie wohl falsch in den Kalender eingetragen. Dann ging sie zurück in ihr Schlafzimmer, sie habe Schmerzen.
Sebastian machte sich ein Brot in der Küche. Der Macher setzte sich mit an den Tisch.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte der Macher. »Du musst ja irgendetwas tun. Also, was hast du vor? Wie lange wirst du hierbleiben?«
»Ich erzähle es euch morgen«, sagte Sebastian.
»Nein, ich will es jetzt wissen, du hast mich schon geweckt.« Der Macher hatte verquollene Augen.
»Es war ein langer Tag, es ist wirklich zu spät«, sagte Sebastian. Er blieb ruhig. Er wusste, was jetzt kommen würde.
Der Macher
Weitere Kostenlose Bücher