Tabu: Roman (German Edition)
freigesprochen.
Weiß
Eschburg stieg hinter der Brücke in den Fluss. Das Wasser war kalt und drückte hart gegen die Gummistiefel. Er hatte die Weidentasche und die alte Angel dabei, aber er konzentrierte sich nicht auf das Fischen. Manchmal blieb er mitten im Fluss stehen, um eine Zigarette zu rauchen. Er zog das Etui mit dem Jadestein aus seiner Tasche und strich mit den Fingern über die japanischen Schriftzeichen auf der Innenseite. Er dachte an Sofia und er dachte an ihren Sohn. Bald würde er den Jungen zum Angeln mitnehmen. Er würde ihm beibringen, wie man die Leine auswirft und wo die Schattenplätze sind, an denen die Forellen während der heißen Tage stehen und wie man sie auf einem Stock über dem Feuer zubereitet. Er wusste nicht, ob er die Dinge richtig gemacht hatte und ob es das überhaupt gab, das Richtige.
Jeden Morgen stehen wir auf, dachte er, wir leben unser Leben, all die Kleinigkeiten, das Arbeiten, die Hoffnung, der Sex. Wir glauben, was wir tun, sei wichtig und wir würden etwas bedeuten. Wir glauben, wir wären sicher, die Liebe wäre sicher und die Gesellschaft und die Orte, an denen wir wohnen. Wir glauben daran, weil es anders nicht geht. Aber manchmal bleiben wir stehen, die Zeit bekommt einen Riss und in diesem Moment begreifen wir es: Wir können nur unser Spiegelbild sehen.
Dann kehren allmählich die Dinge zurück, das Lachen einer fremden Frau im Hausflur, die Nachmittage nach dem Regen, der Geruch nach nassem Leinen und nach Iris und nach dem dunkelgrünen Moos auf den Steinen. Und wir machen weiter, so, wie wir es immer getan haben und so, wie wir es immer tun werden.
Die Sommerfelder standen hell bis zum Ufer. Eschburg ging mit der Strömung abwärts. Er warf die Angel weit aus. Für einen kurzen Moment lag die Fliege auf dem Wasser, sie glänzte grün und rot und blau in der Sonne. Dann riss der Fluss sie mit sich.
Hinweis
Die Ereignisse in diesem Buch beruhen auf wahren Begebenheiten.
»Wirklich?«, fragte Biegler.
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