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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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konnte er beruhigt nach Hause gehen.
    Er war schon fast bei seiner Wohnung angelangt, als ihm die Notiz wieder einfiel, die ihn an diesem Tage schon mehrmals beschäftigt hatte. Worum war es da nun wirklich gegangen? Bronstein war zwischen Neugier und Bequemlichkeit, zwischen Pflichtgefühl und dem Bedürfnis nach Wohlbefinden hin- und hergerissen. Er wusste genau, wie sehr er sich ärgern würde, wenn ihn eine vage Erinnerung an ein paar handschriftliche Zeilen zurück ins Büro triebe, um dann unverrichteter Dingewieder nach Hause zurückzukehren, weil ihn sein Gefühl hinsichtlich der Bedeutung besagter Mitteilung getrogen hatte. Er würde eine Stunde verloren haben, die er weit besser nutzen konnte als mit einem überflüssigen Spaziergang. Wäre, so tröstete sich Bronstein, die Notiz wirklich so wichtig, wie er es sich einbildete, dann hätte man ihn sicher tagsüber kontaktiert. Da dies unterblieben war, handelte es sich um eine Nebensächlichkeit, die zu behandeln fraglos auch am nächsten Tag noch Zeit genug sein würde. Bronstein betrat seine Wohnung und freute sich auf das Abendessen.
    Nachdem er das Geschirr in der Spüle verstaut hatte, begab sich Bronstein ins Wohnzimmer. Er sah den Schillerband auf dem Tisch liegen und trat an seinen Plattenschrank heran, um wieder einmal Wagner aufzulegen. „Der Ring“ war immer noch die allerbeste Musik, die je komponiert worden war, dessen schien sich Bronstein sicher. Doch irgendetwas in ihm ließ ihn dennoch innehalten. Es war ihm, als besäße er nicht länger die Herrschergewalt über sich, denn seine Finger glitten über Wagner hinweg und griffen automatisch nach einer Platte mit Klaviersonaten. Felix Mendelssohn-Bartholdy. Bronstein musste sich eingestehen, dass er über diese Wahl überrascht war. Und so überrascht nun auch wieder nicht. Auf seinem Gesicht begann sich ein Lächeln abzuzeichnen, und geradezu schwungvoll landete die Platte auf dem Abspielgerät. Während Bronstein das charakteristische Knistern vernahm, welches den ersten Takten der Musik üblicherweise vorausging, ertappte er sich dabei, wie er aus dem Bücherregal einen Band Lessing herausgezogen hatte: „Nathan der Weise“. Er ließ sich auf seinen Lehnstuhl nieder und suchte die „Ringparabel“. Oft schon hatte er von ihr gehört, und er wusste, dass viele Antifaschisten ihr eine besondere Bedeutung beimaßen, doch er konnte sich nicht erinnern, je eine Zeile Lessing gelesen zu haben. Vielleicht war ja jetzt der richtige Zeitpunkt dazu gekommen.
    Ermattet schlug Bronstein das Buch zu. Die Musik war bereits längst an ihr Ende gekommen, und er vermochte auch nicht zu sagen, welcher der drei Ringe nun der echte sei. Er fühlte sich auch zu müde, um lange darüber nachzudenken. Standen die drei Söhne für die drei großen Religionen, das Christentum, das Judentum und den Islam? Wahrscheinlich. Aber darüber nachzusinnen blieb ihm auch am nächsten Abend noch Zeit genug. Bronstein richtete sich zur guten Nacht, und ehe er das Licht seiner Nachttischlampe löschte, huschte noch ein Schmunzeln über sein Gesicht: „Von Wagner und Schiller zu Mendelssohn und Lessing. Was bin ich doch für ein Schmock!“

XVI.
Dienstag, 24. Juli 1934
    Das Schrillen des Telefons riss ihn aus dem Schlaf. Mühsam rieb er sich die Augen und versuchte, die Zeit vom Zifferblatt seines Weckers abzulesen. Ein paar Minuten nach drei Uhr morgens. Wer um Himmels Willen konnte mitten in der Nacht etwas von ihm wollen? Das Telefon läutete immer noch, und so quälte sich Bronstein umständlich aus dem Bett und schlurfte ins Vorzimmer. „Ja, ja, ich komme ja schon“, murmelte er verschlafen, so als könnte der Anrufer diese Botschaft vernehmen und sich dementsprechend in Geduld üben. Endlich erreichte Bronstein den Apparat und nahm ab.
    „Oberst Bronstein“, keuchte er.
    „Du, Oberst, komm schnell ins Sicherheitsbüro. Ich glaube, wir haben den Fall gelöst!“
    „Gelöst? Was sagst du da?“ Bronstein hatte um einen Moment zu spät reagiert, und so hatte Cerny schon wieder eingehängt. Er hatte in der Tat sehr aufgeregt gewirkt, der Cerny, dachte er sich, und so kam er zu dem Schluss, dass es vermutlich wirklich besser war, sich ins Büro zu begeben. Bronstein fluchte leise und begann seine Kleidung zusammenzusuchen.
    Während er bemüht war, eine halbwegs passende Kombination zusammenzustellen, die dem Anlass wie der frühen Stunde adäquat war, erwachten nun nicht nur seine Lebensgeister, sondern vor allem

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