Tacheles
auch seine Neugier. Sein Gehirn kam in Schwung. Was hieß, der Fall sei gelöst? Noch dazu im Sicherheitsbüro. Das würde ja bedeuten, dass Kotzler und Murer mit der Sache nichts zu tun hatten, denn die saßen ja wohl nach wie vor auf der Elisabethpromenade. War es dochjemand aus dem Demand’schen Wohnhaus gewesen? Saß jetzt die heulende und zähneknirschende Frau Alwine im Vernehmungszimmer und rang um Worte, um nicht gestehen zu müssen, mit ihrem Stiefsohn ein Mordkomplott geschmiedet zu haben? Oder hatte das Dienstmädl ein Techtelmechtel mit dem Alten gehabt, das ihren Ehegatten oder ihren älteren Bruder zu solch tödlicher Handlung anstiftete? Bronsteins Gedanken liefen nun schneller als seine Beine, und er ärgerte sich maßlos darüber, nicht schon längst angekleidet, was heißt, nicht schon längst im Sicherheitsbüro zu sein. Eilig trat er vor den Spiegel, der im Vorzimmer hing. Die graue Flanellhose war für die Jahreszeit entschieden die falsche Wahl, aber sie konnte hingehen neben dem weißen Hemd, zumal es zu solcher Stunde draußen noch empfindlich kühl sein mochte. Bronstein schnappte sich noch seinen Rock, verstaute seine Kokarde und seine Brieftasche darin, griff nach den Schlüsseln und verließ beinahe überstürzt seine Wohnung. Tatsächlich schlug ihm kalter Wind entgegen, als er die Straße betrat, doch Bronstein vermochte nicht zu sagen, ob es wirklich einen Temperatursturz gegeben hatte oder ob sein Frösteln nur dem Schlafmangel geschuldet war. Für seine Verhältnisse erstaunlich flink wandte er sich nach rechts, um jene wenigen Meter zurückzulegen, die sein Wohnhaus vom Taxistandplatz bei der Oper trennten. Innig hoffte er, dass dieser um die frühe Morgenstunde auch besetzt sein möge, denn er verspürte wenig Lust, bei dieser Kälte die ganze Wegstrecke zu Fuß zurückzulegen.
Bronstein atmete auf, als er einen Wagen parken sah, in dem der Taxichauffeur friedlich vor sich hinschlummerte. Er klopfte gegen die Fensterscheibe, worauf ein merklicher Ruck durch den Fahrer ging. Dieser richtete sich auf und öffnete den Verschlag, sodass Bronstein einsteigen konnte.
„Zum Sicherheitsbüro“, sagte er nur.
„Waun S’ meinen, Sie san der Chef“, gab der Taxler kurz zurück und startete den Motor. Der Mann umkurvte die Oper und bog nach rechts in die Ringstraße ein. Vorbei am Burggarten, der Hofburg und dem Volksgarten erreichte das Taxi schon nach wenigen Augenblicken das Burgtheater. Um diese frühe Stunde gab es praktisch keinen Verkehr, und so konnte Bronstein den Fahrer bezahlen und das Taxi verlassen, noch ehe er die erste „Donau“ zu Ende geraucht hatte. Er blickte kurz die Fassade des Gebäudes hoch, während er noch schnell zwei Züge von der Zigarette machte. Dann warf er sie zu Boden, trat sie aus und auf das Portal zu.
Bronstein brauchte eine Weile, bis er in Erfahrung gebracht hatte, wo sich Cerny aufhielt, doch als Cerny seiner Präsenz im Haus gewahr wurde, eilte er dem Obersten sofort entgegen. Er hatte sogar noch eine Tasse Kaffee organisiert, und so saßen Bronstein und Cerny wenige Augenblicke später einander in ihrem Büro gegenüber und nippten an ihren Kaffeetassen. Bronstein zündete sich eine weitere „Donau“ an, dann hielt er die Spannung nicht mehr aus.
„Also, was heißt, wir haben den Fall gelöst? Wer sitzt da unten im Vernehmungszimmer?“
Cerny grinste breit, er genoss die Situation sichtlich: „Immer mit der Ruhe, Oberst, alles schön der Reihe nach. Ehe ich dir sage, wer da unten sitzt, erzähle ich dir erst einmal, was ich gemacht habe, seit wir uns gestern in der Kaserne getrennt haben.“
Bronstein, wiewohl er schier vor Neugier platzte, gönnte Cerny seinen Triumph. Er blies den Rauch aus, bemühte sich um ein Lächeln und sagte dann: „Ich bitte darum.“
„Also. Wie du dir vorstellen kannst, bin ich direkt ins Demand’sche Haus gefahren. Dort ließ ich mich der Frau Alwine anmelden, die mich auch sofort empfangen hat. Nach einigen Präliminarien kam ich zur Sache. Ich bemühte mich,so taktvoll wie möglich in Erinnerung zu rufen, dass wir sie kurzzeitig in Verdacht gehabt hätten, irgendeine Liebelei begonnen zu haben, wofür wir uns natürlich nochmals auf das Aufrichtigste entschuldigen wollten. Sie schien die Entschuldigung anzunehmen, was ich wiederum zum Anlass nahm, ihr zu sagen, dass wir allerdings bislang noch nicht die Frage geklärt hätten, ob vielleicht ihr Mann in irgendwelche Affären verstrickt gewesen sein
Weitere Kostenlose Bücher