Tacheles
bedanken.“
Die beiden Beamten erhoben sich und begaben sich, begleitet von Demand, zur Tür. Im Stiegenhaus atmete Bronstein tief durch. „Fast 13 Uhr. Hast du keinen Hunger, Cerny? Ich lade dich zum Essen ein. Was sagst du dazu?“
„Dazu sage ich vielen Dank, aber ich denke, ich würde lieber im Kreise meiner Familie sein, wenn dich das nicht zu sehr inkommodiert. Mein Dienst ist seit zwölf Uhr eigentlich beendet, und zu Hause macht man sich sicher schon Sorgen, wo ich abgeblieben bin.“
Bronstein fühlte sich auf den Schlips getreten. Cerny hatte ja Familie. Das perfekte Glück. Nicht nur, dass der Mann überaus attraktiv war, jung und gebildet, nein, er hatte auch privat in jeder Hinsicht Erfolg, während er, Bronstein, ein alter Wolf war, der einsam und allein durch die Unbilden des Lebens wandelte. Jemand wie Cerny wurde zu Hause sehnsuchtsvoll erwartet, auf ihn, Bronstein, wartete nicht einmal ein Hund. Es war ein wirkliches bürgerliches Trauerspiel.
Cerny schien geahnt zu haben, was im Kopf seines Vorgesetzten vorging. „Aber es wäre mir eine Ehre, wenn du uns mit deiner Gegenwart beehren könntest“, hörte Bronstein den Major sagen.
„Nein, nein, das passt schon“, entgegnete er mannhaft. „Geh ruhig nach Hause, Cerny, ich schlendere noch ein wenig durch die Innenstadt und genieße den warmen Sommertag. Wir sehen uns morgen im Büro.“
Die beiden Männer reichten sich kurz die Hand, dann marschierte Cerny zielstrebig auf die nächste Straßenbahnhaltestelle zu, während Bronstein den Weg zum Café Herrenhof einschlug.
Während er dort auf seinen Kaffee wartete und genussvoll den Rauch einer weiteren „Donau“ ausblies, ließ Bronstein die Erkenntnisse des Vormittags noch einmal Revue passieren. Nach seiner langjährigen Erfahrung kam eigentlich keine der Personen, die man eben vernommen hatte, für die Tat direkt oder indirekt in Frage. Die junge Gattin hätte zwar theoretisch einen Liebhaber haben können, doch gab es für sie keinen Grund, an den herrschenden Zuständen etwas ändern zu wollen. Vorausgesetzt, das Testament lautete wie angegeben, hätte sie perspektivisch nur gewinnen können, konnte daher an einem vorzeitigen Ableben ihres Mannes kein Interesse haben. Das Gleiche galt, wenn auch aus anderen Gründen, für die beiden Söhne. Und die geschiedene Gattin schien kaum inder Lage, einen Schurken zu dingen, um ihren untreuen Mann ins Jenseits befördern zu lassen.
Auch der Hausmeister kam kaum in Frage. Der war bestimmt einer jener Charaktere, die bei jeder Gelegenheit groß ihr Mundwerk aufreißen, im Augenblick der Entscheidung aber völlig kleinlaut den Schwanz zwischen die Beine nehmen und Fersengeld geben. Am ehesten hätte Bronstein noch dem Künstler eine solche Tat zugetraut, doch der war in der vorangegangenen Nacht sicher anderweitig beschäftigt gewesen. Und wieder musste Bronstein mit pikierter Faszination an die Gurke denken.
Als die Schale mit dem Kaffee vor ihm stand, wurde sich Bronstein des Umstands bewusst, die Zeitungen vom Tage schon studiert zu haben, und mit einem Mal wurde ihm langweilig. Was sollte er mit diesem Sonntag noch anfangen? Jedenfalls ihn nicht länger damit zu verschwenden, an diesen verzwickten Fall zu denken. Dafür war am nächsten Werktag auch noch Zeit genug. Vielleicht sollte er in den Prater fahren und ein wenig spazieren gehen. Eventuell ließ sich dort beim Lusthaus eine schöne Aussicht genießen. Als ihn dieser Gedanke durchzuckte, merkte Bronstein förmlich, wie sich seine Wangen zu röten begannen. Es war doch zu ärgerlich. Da war er schon fünfzig Jahre alt und bekam immer noch Muffensausen, wenn er an das andere Geschlecht dachte.
Es wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen, in Trübsal zu versinken und an all jene verpassten Chancen zu denken, die er in den letzten drei Jahrzehnten nicht genutzt hatte. Doch Selbstmitleid war ein schlechter Gast, den lud man am besten gleich gar nicht ein. Himmel noch einmal, sagte sich Bronstein, es war ein schöner Tag, er sollte das Beste daraus machen. Und sich an den Schönheiten der Natur zu erfreuen, konnte nicht unanständig sein. Bronstein gab sich einen Ruck, winkte den Zahlkellner zu sich, legte den geforderten Betrag auf den Tisch,gab noch dreißig Groschen Trinkgeld und verließ dann kurz entschlossen das Lokal. Mit langen Schritten durchquerte er die Innenstadt, ließ eilend Kohlmarkt, Graben und Rotenturmstraße hinter sich, um schließlich zum Schwedenplatz zu gelangen, wo er
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