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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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eine Straßenbahn der Linie N bestieg, die ihn direkt auf die Prater Hauptallee bringen würde. Er händigte dem Schaffner den Fahrpreis aus und setzte sich auf eine der Holzbänke. Nun erst begann er zu schwitzen, denn ihm wurde bewusst, mit welchem Tempo er diese Distanz zurückgelegt hatte. Doch die Fahrt würde zwanzig Minuten dauern, bis dahin würde er sich wieder vollständig erholt haben, und so ließ er einfach seinen Blick aus dem Fenster auf die Straße schweifen und versuchte, an nichts Konkretes zu denken.
    Irgendwie hatte er gehofft, es würde sich ein junges, fesches Mädel zu ihm setzen, das gleichfalls in den Prater strebte, damit er wenigstens eine nette Aussicht haben würde, doch nichts dergleichen geschah. Als er an der Station Meiereistraße das Verkehrsmittel verließ, musste er zur Kenntnis nehmen, dass er die gesamte Fahrt über für sich geblieben war. Aber daran war nun nichts mehr zu ändern, und so stellte sich vielmehr die Frage, welches Lokal er hier aufsuchen sollte. Er konnte natürlich ins „Schweizerhaus“ gehen, wo es das beste Budweiser südlich von Böhmen gab. Gegen ein kühles Blondes war nun an einem Sonntagnachmittag wahrlich nichts einzuwenden. Allerdings stand nicht zu erwarten, dort mit dem schönen Geschlecht konfrontiert zu werden. Das „Schweizerhaus“ war ein Familienlokal, in dem jene verkehrten, die eben ihre Kinder in den Wurstelprater ausgeführt hatten. Nach einigen Ohrfeigen für den Calafati, ein paar Lachern im Spiegelkabinett und ein wenig Gruseln in der Geisterbahn war allemal eine Erfrischung angesagt. Sonst allerdings saßen im „Schweizerhaus“ nur alte, einsame Herren – wie er einer war. Wenn sich wirklich eine junge Dame in das Lokal verirrte, dann handelte es sich mit großerWahrscheinlichkeit nicht um eine junge Dame, was der gestrenge Herr Kolarik als Chef des Lokals auch promptest ahndete, sobald er dieses Umstands gewahr wurde. So gesehen war es vernünftiger, noch einen Marsch von leidlich drei Kilometern in Kauf zu nehmen, um es sich sodann im Café „Lusthaus“ bequem zu machen. Dort verkehrte die bessere Gesellschaft, und junge Damen waren dort wirklich junge Damen. Man konnte sie in aller Ruhe beobachten, ohne dass die Gefahr bestand, sich in eine peinliche Situation zu begeben. Ja, dachte Bronstein, es sprach viel dafür, noch ein wenig spazieren zu gehen.
    Nach einer guten Viertelstunde begann sich das Lusthaus vor seinen Augen allmählich abzuzeichnen, und die Perspektive, bald bei einer guten Tasse Kaffee zu sitzen, verlieh ihm gleichsam Flügel. Die letzten Schritte legte Bronstein nahezu federnd zurück, und wie in einem Anfall von jugendlichem Übermut nahm er die drei Stufen, die zum Lokal führten, auf einmal. Zu seinem Glück fand er einen freien Tisch, an dem er sich sofort niederließ. Neben ihm saß eine ältere Dame, die eben eine „Schale Gold“ bestellte, er selbst blieb einen Augenblick später bei seinem „großen Braunen“. Er zündete sich eine „Donau“ an und ließ seinen Blick schweifen.
    Welche Enttäuschung. Es ging schon gegen 16 Uhr, und immer noch war weit und breit kein weibliches Wesen zu sehen, das in diesem Jahrhundert geboren worden wäre. Es schien wie verhext, ausgerechnet dann, wenn er einmal den Weg in den Prater fand, hatte sich die Jeunesse dorée anderswo eingefunden. Missmutig beglich Bronstein seine Rechnung und verließ den Ort, den er eine Stunde zuvor noch mit solcher Zuversicht betreten hatte, wie der Kommandeur einer geschlagenen Armee. Und jeder Meter zurück zur Straßenbahnhaltestelle erschien ihm wie ein ganzer Werst in den russischen Weiten, welche die Grande Armée zu überwinden hatte, als sie ihren Feldzug von 1812 unwiderruflich verloren wusste. Immer öfter musste ernach seinem Stecktuch greifen, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, denn die Hitze wurde nun am fortschreitenden Nachmittag noch unerbittlicher. Er hätte sich doch für das „Schweizerhaus“ entscheiden sollen, dachte er nun, während er neuerlich eine kleine Weile innehielt, um wieder zu Atem zu kommen. Jedes seiner fünfzig Lebensjahre spürte er nun zentnerschwer, und wenn ihm doch noch ein junges Fräulein untergekommen wäre, er hätte kaum einen guten Eindruck hinterlassen. Vae victis!
    Die ganze Szenerie schrie nach Götterdämmerung, kam Bronstein in den Sinn, und mit einem Male wusste er, wie er dem Tag doch noch eine versöhnliche Wendung geben konnte. Einmal zurück in den eigenen vier

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