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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Wänden, würde er Wagner auflegen und den gewaltigen Klängen des „Ring“ lauschen, die ihn endlich aus dem irdischen Jammertal in andere Sphären führen würden, den Walküren gleich, die ihn, den gefallenen Helden, gen Walhalla brachten.
    „Hamma an Span, der Herr?“
    Bronsteins Rückkehr in die triste Wirklichkeit verlief äußerst banal. Ein sichtlich heruntergekommener Mensch schnorrte ausgerechnet ihn, einen Oberst der Wiener Polizei, um eine Zigarette an. Blitzschnell überdachte Bronstein die Alternativen. Er könnte den Mann daran erinnern, dass in Wien das Betteln verboten war, und diese Auskunft mit einem kurzen Zücken seiner Polizeimarke verbinden. Er konnte einfach fünf gerade sein lassen und dem armen Kerl eine „Donau“ zustecken. Er konnte schließlich aber auch keines von beidem tun und den Mann einfach ignorieren. Und Bronstein ging weiter seines Wegs, als wäre nichts gewesen.
    Die Rückfahrt dauerte unerträglich lange, sodass Bronstein großen Hunger verspürte, als er endlich bei seinem Wohnhaus angelangt war. Er blickte auf seine Uhr. Wenige Minuten nach 18 Uhr. Dummerweise hatte seine Zugehfrau am Sonntagihren freien Tag, sodass er nicht mit einem Nachtmahl zu Hause rechnen durfte. Für gewöhnlich war dieser Umstand auch keiner weiteren Erwähnung wert, denn er aß dann immer kalte Platte. Stangenwurst und Brot waren vielleicht eine karge, aber keineswegs eine unpassende Nahrung für seinesgleichen. Doch an einem Abend wie diesem verlangte es ihn nach etwas Deftigerem, und so ging er einfach an seinem Wohnhaus vorbei und lenkte seine Schritte in Richtung Schwarzenbergplatz, wo er in einem gutbürgerlichen Wiener Gasthaus einen kräftigenden Schweinsbraten mit Kraut und Knödel zu ordern gewillt war. Wie hatte doch seine Mutter immer gesagt: Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen.
    Bronstein hatte sich aus seinem Fauteuil erhoben, um die zweite Platte des „Ring“ aufzulegen, und fühlte sich dabei zunehmend unwohl. Er lauschte den erlesenen Tönen des Meisters nun schon eine Stunde, und noch immer überkam ihn nicht dieses wärmende Gefühl, das er sonst empfand, wenn Wagner erklang. Er versuchte zu ergründen, weshalb der Musikgenuss heute ohne Wirkung blieb. Am jüngsten Fall konnte es nicht liegen, denn mit Fällen war er Tag für Tag konfrontiert, ohne dass dies seine Fähigkeit, „Lohengrin“, den „Ring“ oder „Die Meistersinger“ zu genießen, jemals geschmälert hätte. Es musste also etwas anderes sein, das ihn diesmal nicht vordringen ließ zu den Freuden wohlklingender Tonmalerei. Unwillkürlich schweiften seine Gedanken zu dem nachmittäglichen Ausflug in den Prater ab. Wie gerne hätte er dort ein schönes Mädchen erblickt. Cerny kam ihm in den Sinn. Der hatte es gut, hatte eine ebenso wunderhübsche wie kluge Frau an seiner Seite, dem war jetzt sicher nicht langweilig, der fühlte sich garantiert nicht so leer und nutzlos wie er hier. Mit einem Mal erstand die Szene mit der Gurke wieder vor seinem geistigen Auge. Der Meisendoktor vom Alsergrund hätte da fraglos sofort eine kühne Parallelezwischen der Gurke und dem männlichen Fortpflanzungsorgangezogen, und wenn sein, Bronsteins, Gemächt auch nicht die Dimensionen einer Gurke anzunehmen vermochte, so spürte er dennoch eine deutliche Verhärtung in seinen Hosen. Ja konnte es denn die Möglichkeit sein? Wirklich, er, Bronstein, fünfzig Jahre und immer noch nicht weise, war erregt, sehnte sich nach fleischlicher Lust. Bronstein begann zu transpirieren.
    Er stand mitten im Raum und blickte an seinem Körper abwärts. Klar war zu erkennen, dass sich sein Beinkleid an der neuralgischen Stelle ziemlich ausbeulte. Bronstein überlegte, wann er zuletzt mit einer Frau zusammengewesen war. In diesem Jahr jedenfalls noch nicht, gestand er sich ein. Dann wohl irgendwann im vergangenen, sinnierte er, doch sosehr er sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht, ein Datum für einen stattgefundenen Koitus festzumachen. Und je länger er sich mit dieser Frage befasste, umso mehr stieg seine Erregung. Und damit auch seine Ratlosigkeit. Natürlich konnte er sich auf der Stelle selbst Erleichterung verschaffen, „Der Ritt der Walküren“ war dafür vielleicht sogar die optimale Untermalung. Aber konnte man sich etwas Traurigeres vorstellen als einen fünfzigjährigen Mann, der in seiner Wohnung einsam vor sich hin onanierte? Er versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, verbannte die Gurke aus seinem Gedächtnis. Doch

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