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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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umso deutlicher stieg ihm das makellose Gesicht der jungen Demand vor sein geistiges Auge. Auch wenn er heute so übel zu Tode gekommen war, bis zu seinem Ableben war der alte Demand wahrhaft zu beneiden gewesen. Bronstein schlich zu seinem Fauteuil zurück, ließ sich langsam nieder und schloss die Augen. Er spürte, wie die himmlischen Rosse gen Walhalla galoppierten. Doch diesmal hatten die Walküren keine blonde Mähne, nein, er dachte an wallend langes Haar, das walnussfarben glänzte. Er dachte an große, ausdrucksstarke Augen, in denen sich Sensibilität ebenso spiegelte wieeine tiefe Lebensweisheit. Er dachte an sinnliche Lippen, die ein sanftes, gütiges Lächeln umspielte. An einen formvollendeten Busen, dessen Brüste rund und fest und apfelförmig waren, an die sanfte Wölbung eines Bauches, an … Bronstein fuhr hoch. Entsetzt starrte er seinen rechten Arm entlang. Die Finger seiner Hand krampften sich um den Schaft seines Glieds und bewegten hektisch dessen Vorhaut hin und her. Er befahl ihnen, unverzüglich von ihrem Tun abzulassen, doch sie verweigerten ihm jedweden Gehorsam. Anscheinend bedurfte es drastischerer Maßnahmen. „Aufhören“, wollte er sagen, doch deutlich vernahmen seine Ohren jenes Wort, das sich stattdessen aus seinem Munde gelöst hatte: „Alwine“.
    Die Situation war ja wirklich absurd. Er war ein gestandener Mann im besten Alter. Und Alwine war eine potenzielle Verdächtige in einem Mordfall! Wie konnte er an eine solche Person auf diese Weise denken? Ein Ermittler musste vollkommen gefühllos an einen Fall herangehen, musste wissenschaftlich die Causa analysieren. Alles, was dazu angetan war, die Wahrnehmung eines ermittelnden Beamten in irgendwelcher Weise zu beeinträchtigen oder gar zu trüben, musste von vornherein unterbunden werden. Außerdem war es absolut lächerlich, wenn sich ein erwachsener Mann solch pubertärem Unfug hingab. Wenn man schon partout dazu genötigt war, den Leibessäften einen Weg aus dem Körper zu bahnen, dann war es für jemanden seines Standes noch allemal natürlicher, man suchte eine Dame auf, die sich auf ebendiese Verrichtungen von Berufs wegen verstand. Zudem war die Annagasse keine hundert Meter von seiner Wohnung entfernt. Ehe er sich also in seinem Wohnzimmer auf mehr als peinliche Weise selbst befleckte, war es schicklicher, ein maison de tolérance aufzusuchen.
    Wiewohl üblicherweise kein Mann schneller Entschlüsse, stopfte Bronstein behände sein immer noch reichlich erigiertesGlied zurück in die Hose, erhob sich und stellte das Grammophon ab. Er griff nach seinem Rock, tastete nach seinem Portemonnaie und verließ in großer Hast seine Wohnung.
    Je näher er der Annagasse kam, desto kürzer und zaghafter wurden seine Schritte. Mit einem Mal war er sich nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, das Problem solcherart zu lösen. Sicher, in seinen Kreisen gehörte es fast zum guten Ton, ab und zu in einschlägigen Lokalen die Korken knallen zu lassen. Doch sosehr er sich auch danach sehnte, in den Armen einer jungen Schönen zu landen, mehr und mehr machte sich ein Gefühl in ihm breit, das er nur mit dem Wort „Angst“ umschreiben konnte. Was, wenn er ertappt würde? „Ah, der Herr Oberst, auch hier zu Gast?“ Aus dem Munde eines Vertreters der Halbwelt wäre dies seine Vernichtung als Vertreter der öffentlichen Ordnung, denn keine fünf Minuten später wüsste die gesamte Wiener Unterwelt um Bronsteins heimliche Schwäche. Nein, es war mit der Würde seines Amtes einfach nicht vereinbar, sich auf solche Liebeshändel einzulassen. Außerdem war in der Zwischenzeit jede Spannung aus seiner Hose gewichen. Am besten, er kehrte um, genehmigte sich zu Hause noch einen Cognac und ging dann einfach früh zu Bett.
    Und ein weiteres Mal schlich Bronstein an diesem Tage wie ein geprügelter Hund von der Szene, wobei er noch einen letzten wehmütigen Blick auf jene Etablissements warf, die er eben noch so sehnsuchtsvoll umkreist hatte. Bronstein und die Liebe, das passte eben einfach nicht zusammen.
    Die Uhren der Stadt hatten noch nicht Mitternacht geschlagen, als Bronstein in einen unruhigen Schlummer sank, in dem ihm immer wieder Traumgesichte erschienen, denen vor allem gemeinsam war, ein ums andere Mal das Antlitz der Alwine Demand zu bilden.

III.
Montag, 2. Juli 1934
    Wie üblich war Bronstein als Erster im Büro. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, zog die rechte Schublade auf, aus der er seinen gläsernen

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