Taenzer der Nacht
von den Dünen aufschwingen, um nach Mexiko zu fliegen, der Hirsch, der auf einem Hügel sein Haupt erhebt und den Strand herunteräugt, der Silberfisch, der auf der Ladefläche eines Last wa gens erstickt, und selbst der Himmel. Aber im engeren, im menschlichen Sinn, gibt es doch einen Unterschied. Malone machte sich darüber Sorgen, ob er sein Leben verpfuscht habe; und viele hatten diesen Eindruck. Diese geschniegelten Kerle, die sich hier ein Haus gekauft hatten und im Wasserflugzeug mit ihren Vuitton-Koffern ankamen. Malone wollte nur geliebt werden. Malone wollte, daß das Leben wunderschön ist, und Malone glaubte ganz wörtlich an das Glück – kurzum, er war das romantischste Wesen einer Ge mein schaft, deren Mitglieder vielleicht romantischer als irgendjemand sonst auf der Welt sind, und letzten Endes – wie er erfahren mußte – weit spießiger.
Er wollte geliebt werden, und so flüchtete er sich nach New York – weg von seiner Familie – und ver schwand in Manhattan, was erheblich leichter ist, als in den Dschungeln von Sumatra zu verschwinden. Und was machte er dort? Statt den Erfolg zu erringen, den sie von ihm erwarteten, statt Anwalt zu werden, lief er, wie der Hund dem Fuchs, den billigsten Gen ü ssen im Leben nach: der Schönheit, dem erotischen Reiz... genau das, womit dieser Strand uns in den Grundfesten erschüttert hatte. Aber die Parties, die Drogen, die TShirts, die Musik konnten ihm genausoviel Glück ver schaffen, wie das Meer, an dem ich gerade sitze, fähig war, unter den Schlägen Schmerz zu empfinden, die Xerxes ihm von seinen Sklaven austeilen ließ, weil es seine Schiffe verschlungen hatte.
Als die Wolken die Sonne ganz verdeckt hatten, fing es an zu regnen, und ich ging zurück zu der Stelle, wo die Koffer mit Malones TShirts und Lacoste-Hemden genauso verloren im strömenden Regen hockten wie die Häuser, und fing an, sie den Fußweg hinunter zu schleppen. Wind kam auf und der Regen wurde stär ker, sobald die erste Wolke direkt über dieser unmög lichen Sandbank hing; Gestalten tauchten auf, die mit originellen Bemerkungen aus den Büschen auf den Hafen zu rannten. „Altweibersommer ist eher wie ein junges Weib!“ rief einer seiner Begleitung zu, als sie vorbei liefen, „reif, sehr leidenschaftlich, aber lau nisch!“ Das war die Anfangszeile der Fernsehserie Peyton Place, der Lieblingsscherz eines angehenden Romanciers. Geistreiche Leute kamen offensichtlich im Herbst hier heraus, schöne im Juli.
Unser kleines Boot war mit einer Plane zugedeckt, als wir am Hafen mit seinen unzähligen Bootsanhängern ankamen, die vor sich hinrosteten wie ein Haufen verlas sener Seelen, die dort im Regen auf die zu ihnen gehörenden Körper warteten, – und der Kapitän saß im Schutz der Veranda des Lebensmittelladens. Wir schleppten unser Gepäck die Stufen des Sandpiper hoch und stellten zu unserer Überraschung fest, daß die Hintertür offen im Wind hin und her schlug. Wir traten ein und zogen sie hinter uns zu; wir hörten das gespenstische Murmeln eines Paares, das schon in einer entfernten Ecke saß, genau da, wo immer die geses sen hatten, die den Tänzern in den heißen, über füllten Nächten hatten zuschauen wollen. Der Raum war in grau-silbriges Dämmerlicht getaucht, Spiegel und Chrom glänzten unheimlich. Wir schüttelten uns wie Hunde, setzten uns an einen Tisch und betrach te ten die leere Tanzfläche, auf der wir in der Vergangen heit so viele schweißgebadete, ekstatische Nächte ver bracht hatten. Dieses hellbraune Viereck aus poliertem Holz, das uns einmal als ästhetisches Zentrum der Welt erschienen war. Hier hatte ich das erste Mal gesehen, wie Rick Hafner schweißglänzend wie ein Götzenbild von Bewunderern umringt wurde, die be kifft vor ihm auf dem Boden knieten und unfreiwillig seiner Schönheit huldigten wie Betende vor einem Altar.
Hier hatte Stanley Farnsworth mitten in der Musik aufgehört, mit dem Jungen zu tanzen, den er in jener Nacht verführen würde (jeder endete einmal bei Stan ley Farnsworth), und umarmte und küßte ihn mit lan gen, tiefen, fordernden Küssen, die sein Opfer allmäh lich lähmten wie das Gift, das manche Korallen Fischen einflößen, während alle wie die Derwische um sie herum wirbelten, und die Luft schlecht wurde von dem ganzen Poppers; und wir tanzten barfuß auf den zerbrochenen Hülsen, wie die Damen vor Jahrzehnten in Silberslippers auf Rosenblättern zur Teezeit tanzten. Hierher kamen die Liebhaber hohläugig und
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