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Taenzer der Nacht

Taenzer der Nacht

Titel: Taenzer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Holleran
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von Leuten. Ein Typ kam direkt von seinem Nachtdienst im Bellevue-Kran kenhaus und tanzte in seinem weißen blutbespritzten Kittel. Ein gutgebauter blonder Mann, den die Nation fast jeden Abend im Fernsehen ein nahrhaftes Getreide essen sah, stellte sich an den Durchgang zur Toilette, um auf jemanden zu warten, dessen Pisse er trinken könnte. Der mit ihm plauderte, war ein berühmter Dro gen händler von der Upper East Side, der seinen Sohn auf die Choate-Schule und seine Tochter ins Fox croft-Internat schickte, und der immer wie ein Gang ster aus den vierziger Jahren angezogen war. Sie unter hielten sich mit einem reichen Kunstsammler, der eines Tages beschlossen hatte, all dies hier hinter sich zu lassen und darauf gepfiffen hatte, um in den Fernen Osten zu gehen; nach einem Jahr war er zurückgekom men, um hier jetzt neben der Tanzfläche zu stehen und zu erzählen, daß die Tempelstadt Angkor Wat bei weitem nicht so schön sei, wie der Anblick von Luis Sanchez, wie er zu „Law of the Land“ tanzte, mit seiner vor Schweiß glänzenden Brust und einem Freund, der ihm einen mit Äthylchlorid getränkten Fetzen in den Mund schob.
    Der Kunstsammler schlenderte weiter, um sich mit einem gutaussehenden Architekten zu unterhalten, der auch versucht hatte, dem Raum hier, diesem Leben und der Gesellschaft, die hier wie ein Bach seiner Quel le entsprang, zu entkommen. Er hatte eines Nachts festgestellt, daß er sich verausgabte, er hatte in den Spie gel geschaut und bemerkt, daß er sich körperlich ruinierte. Er kaufte sich also einen Wagen und fuhr in den Westen, bis er eine kleine Hütte auf einem Berg paß fand, ohne einen einzigen Spiegel. Vier Monate Schnee und zwei Monate Blüten in der reinen Bergluft hatten aber den Fortschritt seines körperlichen Verfalls nicht aufhalten können. Das Alter selber war die Ur sache. Und so beschloß er eines schönen Morgens im Mai, die Blumen auf den Wiesen und das Tal unter sich im Blick, nach Manhattan zurückzukehren und mit all den anderen Schönheiten in diesem künstlichen Treibhaus aus Musik und Licht gemeinsam zu zerfal len.
    Denn was sonst war dieser Raum als ein Ort, um zu vergessen, daß wir sterben müssen? Es gab Leute, die so reichlich gesegnet mit Schönheit waren, daß sie ein fach nicht mehr wußten, was sie damit anfangen soll ten. Und so atmeten der Arzt, der gerade direkt von der Notstation kam (sein dunkles, bärtiges Gesicht sah aus wie das eines spanischen Heiligen aus dem 15 . Jahr hundert), der erzengelgleiche Sohn einer be rühm ten Schauspielerin und der Mann, der erst in den Westen gefahren war, um die Zeit hinter sich zu las sen, hier die Luft des Olymps ein: Jeder war ein Gott, und niemand wurde in einer einzigen Nacht alt. Nein, dafür brauchte es Jahre ...
    Denn was soll man schon mit Schönheit machen – dieser eigenartigsten und unvernünftigsten aller Lauf bah nen? Es waren Burschen hier im Raum, Bankbeam te, Schuhverkäufer, Büroangestellte, denen so außerge wöhnlich schöne Gesichter und Körper verliehen waren, daß sie schon an sich eine Gnade darstellten. Sie liefen jede Nacht hinaus, nur um über der Stadt zu stehen und sich zur Schau zu stellen, wie der Priester jeden Sonntag die Türen des Allerheiligsten öffnet und den Abendmahlskelch zur Schau stellt.
    Trotzdem war Malone es in der Nacht, in der Frankie ihn beinahe auf dem Bürgersteig vor dem Twelfth Floor zusammenschlug (eine Begebenheit, die ich erst viel später erfuhr, denn ich war an diesem Abend schon früh gekommen, um die eintreffenden Gäste zu be trach ten und die Musik zu hören, mit der der Disc jockey die Nacht einleitete, und die normale Ohren nie zu hören bekamen) und von der Polizei abgeführt wer den mußte, schon satt geworden, immer angeschaut zu werden; er konnte das Starren von verliebten Fremden nicht mehr ertragen; und der einzige Grund, weshalb er zu dieser Zeit überhaupt noch herkam, nachdem er sich von Frankie getrennt hatte und weggehen und sich für immer verkriechen wollte, war der verrückte Drang, mit dem wir alle die aufgestauten Aggressio nen unseres täglichen Lebens lösten – das Bedürfnis zu tanzen.
    Jeder hier war wie Malone ein fanatischer Tänzer, und nicht alle waren schön: Archer Prentiss, der weder Kinn noch Haare hatte; die Spanische Lily, ein mage rer, schrumpeliger Mischling, der mit seiner blinden Mutter in der Bronx wohnte und in einem Laden dort Schuhe verkaufte – aber nachts aussah wie Salome, wie sie mit ihren

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