Taenzer der Nacht
verdrieß lich am ersten Abend nach dem Bruch, und hier begehr ten sie einander, mit Blicken, die sich gefühlvoll und sehnsüchtig über der Menge kreuzten. Hier kam Lavalava voll aufgetakelt an und tanzte mit der „Spani schen Lily“ den Schleiertanz, und hier wurde Malone einmal von der Polizei verhaftet.
„Sag mal“, fragte ich einen Bekannten, der gerade in den Raum mit dem gespenstischen Licht gekommen war, „wo hast du Anthony Malone zum ersten Mal ge sehen?“
„Im Twelfth Floor“, sagte er, „diesen Herbst vor sechs Jahren.“
„Ich auch“, sagte ich. „Ich dachte damals, Malone sei der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Aber da mals war ich in die Hälfte der Leute da verknallt, und habe zu keinem einzigen je Hallo oder Tschüß gesagt.“
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L ange , bevor die Journalisten die Diskotheken von Manhattan entdeckt hatten, lange, bevor die Mittel klasse von ihnen Besitz ergriffen hatte, ganz am An fang also, in jenem besonderen Herbst 1971, eröffneten zwei Herren, deren Namen ich vergessen habe, einen kleinen Club im zwölften Stock eines Industriebaus im Viertel der West Thirties. Die West Thirties bilden im Dunkeln eine richtige Mondlandschaft: Die Straßen, die tagsüber von Männern bevölkert werden, die Kleider ständer über die Bürgersteige schieben, und von sich gegenseitig anhupenden Lastwagen, die alle durch die engen Hofdurchfahrten der Fabriken wollen, sind bei Nacht völlig verlassen. Diese Gegend ist dann so ruhig wie das Meer der Ruhe auf dem Mond. Die Gebäude sind alle dunkel. Keine Menschenseele weit und breit – kein Penner, kein Halbstarker, kein Bulle. Aber am späten Freitag und Samstag abend gegen ein Uhr nachts fahren ganze Flotillen von Taxis vor einer bestimmten düsteren Toreinfahrt vor und liefern ihre Passagiere ab, die eine numerierte Karte vorzeigen und dann mit einem Lastenfahrstuhl in den zwölften Stock befördert werden. Alle, die in den ersten Jahren dort verkehrten, stimmen darin überein: Nie vorher oder nachher hat es etwas so Tolles gegeben.
In einer Stadt, in der manche Bars in der gleichen Woche eröffnen und wieder schließen, erwartete nie mand, daß diese länger als einen Winter halten würde. Im zweiten Jahr war sie bereits zu berühmt, und zu viele Leute wollten hinein: Film-und Rockstars, Foto grafen und reiche Pariser; und Frauen aus Dallas kamen nur zum Gucken, da war es vorbei. Es gab Dis kussionen vor dem Eingang, wer wen als Gast mit brach te, und es gab zu viele Drogen; gegen Ende saß ich nur noch auf einem Sofa im hinteren Teil und betrach tete die Menge.
Im ersten Jahr war es der Reiz des Neuen und der Exklusivität, der all die Leute angezogen hatte, die einander oft überhaupt nicht kannten, aber meistens von einander wußten, wer sie waren, und sich nun mitten im Winter ohne weiteres in diesem kleinen Raum zusammenfanden. Sie kannten einander vom Sehen, ohne sich je vorgestellt worden zu sein. Sie bildeten eine Gruppe von Leuten, die miteinander über Jahre hinweg getanzt hatten, zu denselben Parties gegangen waren, in den gleichen Zügen zu den gleichen Stränden gefahren waren, in manchen Fällen, ohne sich jemals auch nur zugenickt zu haben. Sie vereinte eine gemeinsame Vorliebe für eine bestimmte Musik, körperliche Schönheit und Stil – alles Dinge, für die man eigentlich kein bißchen Energie vergeuden soll te, schon gar nicht, wie in manchen Fällen, sein ganzes Leben.
Innerhalb dieser größeren Gruppe – manche kamen nur einmal im Monat, andere nur zweimal im Halbjahr – hatte sich ein Kern von Leuten gebildet, die außer halb dieses Raumes anscheinend gar nicht existierten. Sie waren offensichtlich nie zu Hause, sondern lebten nur im unaufhörlichen Kommen und Gehen dieser kleinen Gesellschaft. Sie sahen nur selten glücklich aus. Sie begegneten sich ohne ein Wort im Aufzug, wie schwei gende Schatten in der Unterwelt, nur auf ihr vorteilhaftes Aussehen in den Augen eines x-belie bi gen Fremden bedacht, auf ihren nächsten Zug aus dem Poppers-Inhaler, die nächste Musik, die ihre Knochen zu Gelee werden ließ, und sie alle auf der Tanzfläche versammelte, mit zurückgeworfenen Köpfen, die Augen fast geschlossen, in der Ekstase von Heiligen, die gerade ihr Stigma bekommen. Sie gingen diesen Dingen mit einer solchen Hingabe nach, daß sie nach einiger Zeit einen ganz verstörten Blick bekamen, das Aussehen tödlichen Ernstes. Manche entfernten sich, was nur möglich war, aus dem Gesicht, und machten
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