Taenzer der Nacht
verrückt machte, und Horst Jellaby immer eine Woche lang die Flagge des Heimatlandes seinen neuen Liebhabers aufzog: Man brauchte nur die argentinische Flagge zu sehen, um zu wissen, daß er sich den prachtvollen Arzt aus Buenos Aires ge schnappt hatte, oder die Flagge von Kolumbien, um zu wissen, daß der Trainer der kolumbianischen National mannschaft gerade in seinem Bett trainierte.
Der Sommer, in dem die Dressmen nach Water Island umzogen, um dem Mob zu entgehen, der jeden Som mer in größeren Scharen hierher gekommen war. Der Sommer, in dem zwei Cessnas in der Luft zusammen stießen, und es auf den kleinen Wald, in dem alle gerade ihren Nachmittagsfick abzogen, Leichen regne te. Der Sommer, in dem ein namenloser Bürohengst bei dem Versuch starb, auf dem Grund eines Swimming pools Poppers einzuatmen... alles in allem war es ein Gewirr von Gesichtern, Parties, Wochenenden und Unwettern; es verschwand, wie alle Wochen, Monate und Jahre in New York in einem undefinierbaren Durc heinander; ein Leben so hochtou rig, so übersät tigt, daß nichts mehr besonders hervorstach, und die Leute nur noch, wie an einem Herbstnachmittag hier, auf den Hurrikan warteten, der einen Höhepunkt bringen sollte, der niemals kam...
Eine einsame Gestalt wanderte den weiten Strand heran, starrte abwechselnd in den Sand und auf die See hinaus: allein mit dem späten Oktoberhimmel und dem heraufziehenden Sturm. Und wie wir in den will den Sommern so viele Gestalten hatten näherkommen, vorbeigehen und verschwinden sehen, und uns nur damit beschäftigten, Gestalten wie diesen Mann zu beob achten und sie dann unvollkommen oder voll kom men zu finden, so nahm auch dieser spätherbst liche Besucher langsam Gesicht und Gestalt an – und ich erkannte einen von Malones frühesten Liebhabern: ein ungarischer Kernphysiker, den wir alle einen Som mer lang bewundert hatten. Hier wie in der Stadt wimmelte es nur so von ehemaligen Liebhabern von Malone. Er verglich sie einmal mit den Abfällen von New York, die sich vor der Küste hier zu einer giganti schen schwimmenden Insel sammeln und jedes Jahr näher heranschwimmen, so, als ob aufgehäufte Lieb schaf ten uns wie Müll ersticken könnten. Der Physiker ging vorbei; offensichtlich brütete er über privaten Sor gen. Wir alle hatten ihn mit dürftigem Erfolg begehrt. Was mich an eine Maxime von Malone erinnerte, mit der er immer die tröstete, die schon daran verzweifel ten, jemals ihren Traumprinzen abzuschleppen. Er sprach sie mit wehmütigem Bedauern darüber aus, daß sie nun einmal wahr sei (denn, wenn wirkliche Liebhaber entweder keusch oder völlig promisk sind, so gehörte Malone genau genommen zu den ersteren): „Wenn man nur genügend Zeit hat, kriegt jeder jeden ins Bett“. Und so billig diese Einsicht auch ist, so wahr ist sie.
Dieses Volk hatte von seinem Verschwinden keine Notiz genommen: keine schwarzen Fahnen an den Erkern ihrer Häuser, keine schwarze Schärpe über ihren Swimmingpools. Die Insel wartete einfach in dumpfer Teilnahmslosigkeit auf die nächste Saison; der Strand jenes besonderen Sommers war gnädig von den Her b ststürmen ausgelöscht worden, sodaß der des nächsten Sommers Gestalt annehmen konnte; und es war richtig so. Schließlich kam man aus sehr egoisti schen Gründen her; und außerdem war es ein völlig heidnischer Platz. Malone würde nur im Klatsch wei ter leben. Man würde sich an ihn im nächsten Sommer bei einem Dutzend von Dinner-Parties erinnern, oder bei dem belanglosen Geplauder nach dem Sex, bei dem zwei zuvor einander völlig Fremde feststellen, daß sie genau dieselben Leute kennen und genau das gleiche Leben führen. Man würde genausoviel Andacht vor dem Verschwinden einer Inselschönheit empfinden, wie vor dem Stammgast eines Spielcasinos, der sich vom Roulettetisch entfernt. Für einen so intimen Ort war es hier doch ziemlich öffentlich; jeder konnte her kommen, und jeder tat es. Und wenn nicht dieses Zigeu nerlager, wer sonst würde um Malone trauern? Vielleicht würde er in meiner Erinnerung weiterleben: Ich würde immer diese Gegend, dieses Meer, diesen Himmel mit seinem Gesicht verbinden, und mich fra gen, ob er sein Leben verschwendet habe.
Kann man sein Leben überhaupt verpfuschen? Heut zu tage? ,,Na ja“, pflegte Malone zu sagen, wenn eine eingebildete Schöne sich weigerte, ihm auch nur in die Augen zu blicken, „wir sind alle Teil des Stickstoff kreis laufs.“ Klar, und die Schmetterlinge, die sich in goldenen Wolken
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