Taenzer der Nacht
sich zu regelrechten Leerzeichen. Und wenn man in den Vorraum kam, in dem sie standen und darauf warteten hineinzukommen, drehten sie sich unwillkür li c h zu einem um (wie wenn wir uns plötzlich in einem Spiegel sehen, auf den wir nicht gefaßt sind) und zeig ten alle den gleichen Ausdruck auf ihrem Gesicht: Hol mich raus hier! Oder: Liebe mich! Wenn es ein Gefäng nis für all diese Verzweifelten gegeben hätte, hätte man die Polizei rufen sollen, und sie alle verhaften lassen – nur um sie aus diesen überhitzten Räumen zu bekommen und ihnen eine Ruhepause zu verschaffen.
Es gab allerdings einen Zeitpunkt, zu dem ihre Ge sich ter die süßeste Glückseligkeit ausstrahlten – zu dem alle in einer einzigartig liebevollen Begegnung aufeinander zu kamen; der der Grund war für alles, was sie taten; und das war ungefähr um halb sieben morgens, wenn alle ihre verschwitzten TShirts auszogen und anfingen zu kreischen, weil Patty Joe be gon nen hatte zu singen: „Make me believe in you, show me that love can be true“. Dann war die Luft bereits zum Kotzen von den abgestandenen Poppers-Wolken – dessen Kapseln zerbrochen auf dem Boden lagen, nachdem seine Dünste tief in die Lungen gesogen worden waren – und dem Geruch von Schweiß und Äthylchlorid von den Lappen, die sie sich zwi schen die Zähne klemmten, während sie sich in den Armen hielten, um nicht umzufallen. Die Leute, die gerade Beruhigungsmittel genommen hatten, und kaum noch fähig waren, sich zu bewegen, und die anderen, die von den Bänken aufsprangen, auf denen sie wie Märtyrer gelegen hatten, die ihre Seele schon zu Christus geschickt haben, – alle drängten auf die Tanzfläche und vereinigten sich unter Schreien von tierischer Freude, weil Patty Joe mit ihrer metallischen, unwirklichen Stimme diese Signalworte angefangen hatte zu singen: „Make me believe in you, show me that love can be true.“
(Oder weil der Discjockey von Barrabas’ „Woman“ zu Zu lemas „Giving up“ oder zu „Land of the Land“ von den Temptations gewechselt war. Eine Geschichte dieser Zeit bestünde nur aus einer Reihe von Songs.)
Wenn die Leute dann gingen – die blutrote Sonne saß schon auf der Feuerleiter eines Industrie g e b äudes an der nächsten Straßenecke, und die Dachkanten der Häuser hatten alle goldene Ränder –, zogen sie ihre TShirts in der kühlen Luft eines Herbstmorgens aus und wrangen sie über einem Gully aus. Und der Schweiß lief in den Gully wie aus einem Eimer, wie der Schweiß von Sportlern nach einem langen und schweiß treibenden Fußballspiel auf einem Spielfeld im Norden an einem Herbsttag so rein wie diesem; und dann gingen sie gemeinsam den Broadway hinauf, erschöpft, ekstatisch, mit Gliedern leicht wie die von Vögeln, eine Horde von verlorenen Schwuchteln auf dem Weg zur Everard Sauna, denn noch konnten sie nicht von ihrem Trip voll Freude und Glück herunter.
Diese jungen Männer, die da in den Himmel blinzel ten, sahen mit ihren vom Gürtel baumelnden TShirts aus wie Sportler auf dem Rückweg von einem Spiel, wie Jugendliche, die mit blitzenden Augen und strah len den Gesichtern aus der Schule kommen, und keiner, der ihnen begegnete, hätte den Grund für das Glück dieser Gruppe ahnen können.
Gegen Ende saß ich auf dem Sofa an der Rückwand des Twelfth Floor und wunderte mich nur noch. Viele von ihnen waren sehr attraktiv, und ihre Familien (die nicht wußten, daß sie schwul waren) konnten ihr Ver schwinden in New York City weniger verstehen, als wenn sie bei einem Verkehrsunfall umgekommen wären. Sie waren groß und breitschultrig, mit hübschen offenen Gesichtern und starken weißen Zähnen, und sie waren alle tot. Sie lebten nur für die Musik und die Lust aufeinander – in einer eigenartigen Demokra tie, deren einzige Einlaßkarte körperliche Schönheit war, und auch die war nicht immer nötig. Alles andere war völlig klassenlos: Der Typ, der da ohnmächtig von einer Überdosis Tuinols auf einer Liege lag, war ein Puertoricaner, der als Tellerwäscher in der Kantine von CBS arbeitete, aber der Arzt, der sich über ihn beugte, hatte schon Präsidenten behandelt. Es war eine Demo kratie, die die richtige Welt mit ihren Belohnungen und Strafen, ihrem Wett be werb und ihren Eitelkeiten nie zulassen würde; aber in diesem kleinen Raum im zwölften Stock eines Industriegebäudes an der Thirty third Street gedieh sie, weil ihr Grundprinzip das anar chischste von allen war: Sex.
Was für eine bunte Mischung
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