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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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richtig gehört, oder?« sagte Hank.
    Noam antwortete nicht.
    »Denn wenn du gesagt hast, daß du nach Hause willst, wenn du das tatsächlich gesagt hast, dann weißt du ja, was jetzt kommt.«
    Noam schwieg weiter.
    »Dann muß ich dir nämlich sagen, daß ich stinksauer bin. Und du weißt doch, was ich mache, wenn ich stinksauer bin?«
    »Hör auf, mich zu bedrohen«, brachte Noam mühsam heraus.
    »Was hast du gesagt?« fragte Hank ungläubig.
    »Ich hab gesagt, du sollst aufhören, mich zu bedrohen«, wiederholte Noam.
    Hank biß sich auf die Lippen. »Na schön. Wenn du gehn willst … dann geh.«
    Noam rührte sich nicht.
    »Geh schon, du Klugscheißer … Geh.« Er stieß Noam an den Schultern vorwärts. »Geh … geh, geh, geh. Raus hier, verdammt noch mal, bevor ich dir die Eier abschneide.«
    Noam rührte sich nicht.
    »Sieh doch mal, wie weit du ohne mich kommst«, sagte Hank. »Woher kriegst du was zu essen, Klugscheißer? Wo willst du heute abend schlafen? Glaubst du, du brauchst nur zu Hause anzurufen, und all deine kleinen Problemchen sind gelöst?«
    Er versetzte Noam einen Stoß.
    »Glaubst du das etwa?«
    Er stieß ihn noch fester. Es tat Noam in der Brust weh.
    »Was?« brüllte Hank. »Was?«
    Hank knallte ihn gegen die Wand. Noam rutschte nach unten, hielt sich den Kopf und ließ sich dann einfach fallen.
    Hank drückte ihn gegen den Boden. »Was glaubst du denn, was deine Mama zu dir sagen wird? Schön, daß du wieder da bist, mein lieber Junge? Glaubst du, das wird sie sagen? Und was glaubst du, was die Rabbaim sagen werden? Weißt du, was die mit dir machen? Die werden dir bis zum Geht-nicht-mehr mit dieser … dieser Gewissensscheiße die Ohren volllabern. Sie werden dir erzählen, was für ein schlimmer Junge du bist und wie du dein Leben verkorkst hast, weil du deinen Eltern etwas so Schreckliches angetan hast. Dann wird dich jeder in der ganzen Gemeinde wie ’ne Mißgeburt anstarren. Die Mädchen werden dich auslachen. ›Da geht der verrückte No-am. Dieser Irre! Dieser Freak!‹ Und die Jungs – die werden auch nicht besser sein. Die werden genauso laut über dich lachen. Keiner wird mit dir reden. Die werden dich behandeln, als hättest du Pestbeulen im Gesicht. Wie den letzten Dreck. Du wirst für deine Familie eine einzige Peinlichkeit sein.«
    Er riß Noam an den Armen hoch und schob ihn zur Tür. »Geh doch, wenn du das unbedingt willst. Na los, Klugscheißer! Geh! GEH!«
    Noam fing verzweifelt an zu weinen. Hank nahm den Jungen in den Arm und wiegte ihn.
    »Hey, Mann«, sagte Hank. »Ist ja schon gut. Ist ja gut.«
    Noam schluchzte an Hanks Schulter.
    »Ich weiß, wie du dich fühlst«, sagte Hank. »Und vielleicht bin ich ja auch manchmal ein bißchen ungeduldig. Aber eins mußt du mir glauben, Nick-O. Du bist mein Kumpel. Du kannst mir vertrauen. Hey, alles, was du empfindest … den Scheiß haben sie mit mir auch gemacht. Meine Eltern. Die Rabbis haben mich ständig fertiggemacht. Ich kenn das alles, weil ich es auch durchgemacht hab. Die sind doch alle bekloppt. Der einzige, der je nett zu mir war, war mein Sejde.«
    Noam wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
    »Meine Bubbe ist nett«, sagte Noam.
    »Yeah, aber sie ist vermutlich bereits eine alte Dame«, sagte Hank. »Was glaubst du, wie lange sie’s noch macht? Irgendwann kratzt sie ab, und dann bist du wieder allein. Glaub’s mir, ich kenn das.«
    Noam wußte es nicht. Bubbe wirkte nicht krank, aber sie war natürlich alt. Früher hatte er ständig mit ihr geredet. Doch dann hatten seine Brüder ihn deswegen aufgezogen, und er hatte damit aufgehört. Und als er nichts mehr sagte, hatte sie auch nichts mehr gesagt.
    »Glaubst du, ich hab dich nur hierher gebracht, um Schwule zu überfallen?« sagte Hank. »Hey, das ist doch nur für den Übergang. Die Versicherung hat mein Geld immer noch nicht rausgerückt. Aber ich werd es kriegen. Und dann können wir beide richtig schick leben. Aber jetzt brauchen wir erst mal ’n bißchen Knete, Mann. Du mußt mir helfen. Wir sitzen in einem Boot.«
    Noam nickte.
    »Hey, das seh ich gern«, sagte Hank. »Wir beide sind wie Brüder, weißt du, was ich meine?«
    Noam nickte wieder. Aber tief in seinem Inneren wußte er, daß etwas nicht in Ordnung war. Er sollte nicht mit Hersh reden, er sollte mit seiner Mutter, einem Onkel oder einer Tante reden. Oder mit Bubbe. Aber sie hörten ihm ja nie zu. Hersh hörte wenigstens zu. Oder er tat so als ob. Wej is mir, er war so verwirrt.

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