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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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aneinander schlugen.
    Er hörte, wie er heftig einatmete.
    Zum dritten Mal in dieser Nacht begann er nach Luft zu schnappen. Mittlerweile wußte er, was er dann tun mußte.
    Tief durchatmen. Ganz langsam und tief durchatmen.
    Tränen traten ihm in die Augen und ließen alles vor ihm verschwimmen. Er wischte sie mit seiner Jacke ab.
    Er hörte ein Geräusch und merkte, wie er erstarrte.
    Eine Sekunde Stille.
    Dann Gejohle.
    Seine Hand hielt die Pistole so fest, daß seine Knöchel weiß wurden.
    Dann nichts.
    Niemand.
    Die Gasse war menschenleer. Die Straße ebenfalls. Diese kleine Gasse lag im besseren Teil der Stadt, nicht weit von den ganzen Gerichtsgebäuden. In der Gegend, in der sie wohnten, liefen viele verrückte Typen und Penner herum, hauptsächlich Schwarze und Puertoricaner. (Lebten in Kalifornien überhaupt Puertoricaner, oder waren das Mexikaner?) Dort gab es jede Menge betrunkene alte Männer, die mit sich selbst redeten, humpelten und sich an den Haaren rissen. Alle stanken nach Schnaps.
    Nachdem er so lange in dieser Gasse auf Hersh gewartet hatte, stank er vermutlich auch schon. Hersh hatte versprochen, ihm ein Aerosmith-T-Shirt zu kaufen, wenn das hier vorbei war. Obwohl Noam das T-Shirt wirklich gern wollte, fragte er sich, ob es klug war, Geld für Klamotten auszugeben, wenn sie es eigentlich für Essen und ein Dach über dem Kopf brauchten.
    Aber Hersh war richtig wütend geworden, als Noam seinen Einwand vorgebracht hatte.
    Mit Hersh konnte man wunderbar reden, solange man sich über seine Eltern beklagte oder über die Rabbis. Wenn man sich aber über was anderes beklagte, ging er auf einen los wie ein Tiger.
    Am besten sagte man gar nichts, solange man nicht angesprochen wurde.
    Wieder Tränen. Er wollte so gerne nach Hause, aber er hatte solche Angst. Was wäre, wenn ihn seine Eltern nicht wieder aufnehmen würden? Natürlich waren sie gesetzlich dazu verpflichtet, aber … wenn sie ihm nicht verziehen?
    Sie würden ihm verzeihen müssen, wenn gerade Jom Kippur war. Dazu war Jom Kippur da. Wenn er es nicht bis Jom Kippur – also in vier Tagen – nach Hause schaffte, würde er ein ganzes Jahr warten müssen.
    Das einzig Richtige wäre, die Waffe fallen zu lassen und so schnell wegzulaufen, wie ihn seine Beine trugen. Aber wohin? Er hatte kein Geld. Und Chas Wachalilah – Gott behüte – er wollte nicht ohne Waffe mitten in der Nacht mit diesen Verrückten zusammenstoßen, die auf den Straßen lebten.
    So verwirrt.
    Dann hörte er den Lärm – Stimmen. Leute, die sich unterhielten.
    Diesmal wurde es ernst. Die Worte drangen verzerrt an sein Ohr.
    Die Geräusche kamen immer näher. Hershs Stimme war zu hören, plaudernd und lachend. Eine tiefe Stimme antwortete ihm. Auch sie klang glücklich.
    Noam blickte angestrengt, konnte aber nichts sehen. Langsam stand er auf, drückte sich flach gegen eine Mauer und rührte sich nicht.
    Die tiefe Stimme wurde lauter – der Mann sprach sehr undeutlich.
    Wer war dieser Typ?
    Noam bewegte sich vorsichtig bis zu der Stelle, wo die Gasse in die Straße mündete, und schielte um die Ecke. Die beiden Gestalten nahmen erkennbare Formen an. Hersh hatte sich in seine Schabbeshose samt Jackett geworfen und hatte blank geputzte Stiefel an. Die große Gestalt trug Anzug und Krawatte.
    Ein großer Mann.
    Etwa einsachtzig.
    Hersh hatte gesagt, der Typ würde klein sein.
    Der große Mann torkelte beim Gehen.
    War er betrunken?
    Noam hatte noch nie jemanden erlebt, der richtig betrunken war. Einige Rabbis betranken sich zwar an Purim, aber sie waren keine Säufer. Noam wußte nicht, ob der große Mann betrunken leichter auszurauben wäre oder ob ihn der Alkohol aggressiv und kampflustig machen würde.
    Sie kamen näher, immer näher.
    Außer Hersh und dem Opfer war niemand auf der Straße.
    Wie ausgestorben. Menschenleer.
    Sie redeten laut. Hersh sprach mit einem halb deutschen, halb jiddischen Akzent. Er schien sich prächtig zu amüsieren.
    Schweiß sickerte in Noams Skimaske und machte sie feucht. Von dem Geruch nach nasser Wolle wurde ihm ganz übel. Er flehte zu Gott, daß es bald vorbei sein möge!
    Sie kamen.
    Näher und näher.
    Sein Herz schlug laut, die Pistole zitterte in seinen Händen.
    Der salzige Geruch von seinem Schweiß.
    Das Blut, das ihm in den Schläfen klopfte.
    Näher und näher.
    Ein schrilles Klingeln in seinen Ohren. Dann hörte es auf, und in seinem Kopf machte es nur wumm, wumm, wumm.
    Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb.
    Didab,

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