Tag der Buße
Grades von mir wohnt mit seiner Familie in Beverly Woods«, sagte Big Hersh.
»Sie meinen Beverly Hills?« sagte Decker.
»Nein, Beverly Woods.«
Er meinte Beverlywood, das goldene Ghetto der Juden von L. A. In Beverlywood lebten viele reiche orthodoxe Juden, deren Eltern häufig Überlebende der Konzentrationslager waren. Würde Hersh mit seinen entfernten Verwandten Kontakt aufzunehmen versuchen? Zumindest lohnte es sich, der Sache mal nachzugehen.
»Können Sie mir Name und Adresse geben?« fragte Decker.
Ein weiteres Zögern. Dann sagte Big Hersh: »Sie hören sich ehrlich an. Und meine Frau kann sich auch erinnern, daß sie mit Ihnen gesprochen hat. Trotzdem hab ich ein komisches Gefühl dabei, Ihnen die Namen meiner Verwandten am Telefon zu geben.«
Decker bat ihn, einen Augenblick zu warten, und rief Rina. Er hielt die Sprechmuschel mit einer Hand zu und sagte: »Ich hab Hersh Berger, den Fischhändler aus Crown Heights, am Apparat. Er und Hersh Schaltz sind Vettern ersten Grades. Ich versuche, einige Informationen von ihm zu bekommen, aber er hat offenbar Bedenken, mir was zu erzählen. Red du mit ihm. Überzeug ihn, daß alles seine Richtigkeit hat.«
Rina starrte ihn an, als ob sie sagen wollte: Jetzt willst du also plötzlich meine Hilfe? Dennoch nahm sie den Hörer und sprach mit Big Hersh Jiddisch. Sie unterhielten sich fünf Minuten lang, und es fielen eine Menge Namen, die Decker noch nie gehört hatte. Dann gab sie ihm den Hörer zurück und nickte.
»Mr. Berger?« sagte Decker.
»Okay«, sagte Big Hersh. »Ich kenne Freunde von der Familie Ihrer Frau. Ihre Frau kennt sogar meine Verwandten in Beverly Woods. Aber ich geb Ihnen zur Sicherheit die Adresse. Haben Sie was zum Schreiben?«
Decker sagte, er hätte, und schrieb Name, Adresse und Telefonnummer auf.
»Kann ich sonst noch was für Sie tun?« fragte Big Hersh.
»Könnten Sie mir ein bißchen was über Ihren Vetter erzählen?« fragte Decker. »Was ist er für ein Mensch? Ich kann mich sehr schwer in ihn hineinversetzen.«
Big Hersh lachte. »Damit stehn Sie nicht allein.«
»Hersh war also schon immer ein Rätsel?«
»Ein Meschugener, meinen Sie. Ja, er war schon immer etwas merkwürdig.«
»Könnten Sie mir ein bißchen mehr über ihn erzählen?«
»Haben Sie etwas Zeit?«
Decker sagte, er hätte alle Zeit der Welt.
»Zunächst mal müssen Sie wissen«, legte Big Hersh los, »daß Hershies Vater ein gekaufter Schwiegersohn war, also gab es zwangsläufig größere Probleme in der Ehe.«
»Gekaufter Schwiegersohn?« sagte Decker. »Davon hab ich noch nie gehört.«
Hersh sagte, er solle Rina fragen – sie wüßte sicher genau, was er meinte – erklärte es ihm dann aber trotzdem. Gekaufte Schwiegersöhne seien Männer, die von reichen Ehepaaren gekauft wurden, um sie mit ihren Töchtern zu verheiraten. Diese Männer seien sich alle sehr ähnlich. Sie hatten eine gewisse Bildung, aber normalerweise keinen Beruf. Sie sahen gut aus. Zogen sich gut an. Sie verbrachten einige Zeit in einer guten Jeschiwa, betrieben jedoch das Torah-Studium nur selten für ihren Parnassah – ihren Lebensunterhalt. Meist arbeiteten sie in den lukrativen Firmen ihrer Schwiegerväter. Der Hauptzweck dieser erkauften Ehen bestünde darin, unattraktiven Mädchen einen gutaussehenden Mann zu verschaffen, um hübsche Kinder zu zeugen – Enkelkinder für die Eltern der Braut.
Nun sei ja gegen eine ansehnliche Mitgift nichts einzuwenden. Aber viele dieser Männer waren Gonefs – Schurken. Sie machten betrügerische Geschäfte, und oft betrogen sie auch ihre Frauen. Sie protzten gern herum und lebten nur für den Luxus – das tollste Haus, den feinsten Nerz für ihre Strejmel- Kappen, die beste Wolle und Seide für ihre Anzüge. Und sie verlangten Respekt – Kawod –, und wenn sie den nicht bekamen, kauften sie ihn sich.
Kurz und gut, erklärte Hersh Berger, sie repräsentierten all das, was mit der Gesellschaft nicht stimmt. Sie opferten Spiritualität für Gaschmiuss – krassen Materialismus.
Heutzutage sei der gängige Preis für einen Schwiegersohn mit guter Bildung etwa eine halbe Million. Junge Männer, die zwar keinen Kopf zum Lernen hatten, dafür aber gut aussahen und einen gewissen Geschäftssinn hatten, wären schon für eine Viertelmillion zu bekommen. Die genauen finanziellen Vereinbarungen wurden vor der Hochzeit zwischen den einzelnen Parteien ausgehandelt. Das war der eheliche Vorvertrag.
Der Vater von Hersh Schaltz sei vor
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