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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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ihm gesagt, er könne hinten arbeiten und solle die Theke ihm und mir überlassen. Das schien eine gute Aufteilung. Hersh nahm gern Fische aus. Manchmal tat er’s, wenn sie noch am Leben waren. Das fand ich ganz schlimm. Tzaar Baalej Chajim – Grausamkeit gegen Tiere – ist eine furchtbare Awera. Ich hab’ ihm immer wieder gesagt, er soll die Fische zuerst töten. Man braucht ihnen nur die Kiemen durchzuschneiden. Aber er machte es trotzdem nicht. Manchmal trat er ihnen auf die Köpfe oder schnitt sie einfach ab. Alles sehr seltsam.«
    »Wie sind Sie mit ihm ausgekommen?«
    »Wir haben schon miteinander geredet, falls Sie das meinen«, sagte Hersh. »Doch wir hatten ein distanziertes Verhältnis. Er war ein merkwürdiger Junge. Aber das ist ja nicht unverständlich, wenn man über die Familie Bescheid weiß.«
    Decker fand es überhaupt nicht unverständlich.
     
    Die Verwandten von Big Hersh wohnten auf dem Guthrie Drive – der nobelsten Straße im vorstädtischen Beverlywood. Decker sprach mit einem Dr. Sam Beiderman, einem Kardiologen. Dieser wußte zwar von seinem Cousin Hersh Schaltz in Brooklyn, hatte ihn aber noch nie gesehen und würde ihn auch nicht erkennen, wenn er vor ihm stünde.
    Beiderman sagte, er würde sofort Bescheid sagen, falls Hersh sich meldete. Decker bedankte sich für seine Hilfe. Er war zwar enttäuscht über den mangelnden Fortschritt, aber auch nicht weiter überrascht.
    Nach dem Gespräch mit Big Hersh fühlte sich Decker noch schmutziger als nach seinem Besuch bei den Obdachlosen. Er stellte sich lange unter die Dusche, dann rief er die Jungs in New York an. Es war wunderbar, mit ihnen zu reden, obwohl Sammy sich die meiste Zeit beklagte.
    Doch dann sagte er in einem für einen Zwölfjährigen ungewöhnlichen Anfall von Verständnis, er wisse ja, daß Decker arbeite. Daß das auch nicht gerade die Ferien wären, wie er sie sich vorgestellt hätte.
    Decker sagte, es wären überhaupt keine Ferien, aber er könnte Sammys Frust verstehen. Er sei ebenfalls frustriert. Doch in weniger als einer Woche würden sie alle wieder zusammen sein. Er versprach den Jungs, sie für die vermasselten Ferien zu entschädigen, und fragte, was sie denn gerne machen würden.
    Beide wollten mit ihm eine Rakete bauen. Decker sagte, sobald sie wieder alle zu Hause wären, würde er mit ihnen in den Hobbymarkt fahren und den größten Raketenbausatz kaufen, den es gab.
    Als er das Gespräch gerade beendet hatte, klingelte es an der Tür. Rina machte auf und begrüßte seine Tochter, als ob sie ihre beste Freundin wäre. Cindy umarmte Rina ebenfalls und fing an zu kichern. Ihr Lachen und Geplauder klang bis zu Decker herüber.
    Decker warf einen Blick ins Wohnzimmer. Seine Tochter war jetzt schon eine richtige junge Frau. Ihr schlaksiger Körper hatte sanfte weibliche Rundungen angenommen. Ihre Haut strahlte vor Gesundheit, ihre hellbraunen Augen versprühten jugendliche Leidenschaft. Sie hatte sich die Haare wachsen lassen, und ihre roten Locken fielen jetzt auf ihre Schultern. Sie sah zum Flur hinüber, und als sich ihre Blicke trafen, fing sie an zu strahlen.
    Sie schob eine Hüfte vor und sagte: »Kommst du jetzt endlich, oder was ist?«
    Decker mußte grinsen. Er spürte eine behagliche Wärme in sich. Cindys Stimme hatte immer diese Wirkung auf ihn.
     
    Noam lag auf dem ungemachten Bett und beobachtete, wie Hersh sich im Schlafzimmerspiegel die Krawatte zurechtrückte. Es war ein alter Spiegel. Die Beschichtung war rissig und stumpf. Noch ein Dreckloch, dachte er. Das Zimmer roch so muffig wie ein ganzer Korb schmutziger Wäsche. Zu Anfang hatte ihm diese Schlampigkeit gefallen. War mal eine Abwechslung von der Pingeligkeit seiner Mutter. Aber jetzt fand er diese Drecklöcher nur noch deprimierend – wie alles andere, was er und Hersh getan hatten. Alles war abscheulich und deprimierend.
    Er hatte gewußt, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis Hersh wieder zuschlagen wollte. Nur hatte er nicht so schnell damit gerechnet. Er war ganz ruhig. Der Drang, sich das Leben zu nehmen, war erloschen.
    Hersh wollte wieder auf Beutefang gehen. Noam wollte nicht noch mehr Leuten weh tun. Haschem wußte, daß er das nicht wollte. Aber er wollte auch nicht sterben oder ins Gefängnis. Jedes Mal, wenn Hersh sprach, wurde es Noam furchtbar übel im Magen, und sein Kopf fing an zu dröhnen.
    »Hey, Nick-O«, sagte Hersh. »Wir müssen was unternehmen, kapiert?«
    Noam reagierte nicht.
    »Haste gehört, was ich

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