Tag der Buße
ich gehabt und verloren hatte – nein, an das Baby, das man mich gezwungen hatte wegzugeben. Ich konnte nicht verhindern, an ihn zu denken. Ich wollte ihn unbedingt behalten, aber meine Eltern haben mich nicht gelassen. Lieber Gott, verzeih mir …«
Sie fing wieder an zu schluchzen.
Rina sagte: »Peter … Akiva hat eine Tochter. Er versteht, wie Sie sich gefühlt haben müssen …«
»Er haßt mich«, sagte Frieda. »Das hab ich gesehen. Ich habe es verdient …«
Rina beruhigte sie erneut.
»Dein Akiva …«, brachte Frieda unter Schluchzen heraus, »mein kleines Baby. O Gott, nach all den Jahren … Es tut immer noch so weh, als ob es erst gestern passiert wäre. Er war gar nicht krank, oder? Er wollte mich nicht sehen.«
»Er wollte Sie nicht schockieren.«
»Als ihr zusammen nach New York gekommen seid … wußte er da, daß ich hier sein würde?«
»Natürlich nicht.«
»Aber woher wußte er es dann, Rinalah?« rief Frieda. »Woher wußte er es?«
»Ich vermute, er hat Ihren Namen schon vor langer Zeit herausgefunden. Doch er kannte Sie nur unter Ihrem Mädchennamen, weil der auf der Geburtsurkunde steht. Ich weiß ganz ehrlich nicht, wie er Sie erkannt hat. Vielleicht hat er ein Foto von Ihnen. Vielleicht hat sein leiblicher Vater ihm eins …«
Frieda fing wieder an zu schluchzen. »Er hat Benjamin getroffen?«
»Ich glaube, einmal.« Rina dröhnte der Kopf. »Ich weiß nicht genau, was passiert ist, nur daß Peter eine große Kiste mit Sachen von seinem leiblichen Vater bekommen hat, nachdem dieser gestorben …«
»Benjamin ist tot?« Frieda wandte ihr Gesicht ab. »O mein Gott! Zuviel ist geschehen … wann?«
»Das ist schon lange her, Mrs. Levine«, sagte Rina. »Peter redet überhaupt nicht viel, und schon gar nicht über etwas … so … Peter ist ziemlich verschlossen. So ist er halt.«
»Er ist ganz genau wie mein Benny«, sagte Frieda. »Ich habe seinen Vater geliebt, Rinalah. Eine solche Liebe hab ich nie wieder erlebt. Er hat für meinen Vater gearbeitet, ein bißchen getischlert … er hat für ihn Bücherregale gebaut. Ich fand, er sah so gut aus … ich habe sein Haar geliebt, dieses schöne dichte rote Haar …« Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. »Wenn meine Eltern nicht hingeguckt haben, haben wir miteinander geredet. Ich habe ihn so sehr geliebt.
Als mein Vater es herausgefunden hat … uuuuhh.« Sie schauderte. »Er hat ihn gefeuert. Er haßte ihn. Benjamin hatte keine Familie, keinen Jichuss und keinen Kopf zum Lernen. Er hat nicht ernsthaft studiert und zu viele Witze erzählt. Zu frivol für meinen Vater. Als er herausfand, daß wir uns hinter seinem Rücken immer noch trafen, hat er mir ins Gesicht geschlagen und mir verboten, ihn jemals wiederzusehen …«
Es klopfte an der Tür. Miriam fragte, ob alles in Ordnung sei?
»Alles in Ordnung«, rief Frieda. »Bitte geh wieder.«
»Mama, mach die Tür auf«, sagte Miriam.
»Ich hab gesagt, du sollst gehn.« Frieda seufzte. »Darling, ich ruh mich doch nur aus. Kümmer dich um deinen Vater und sag allen, es geht mir gut.«
»Bist du auch ganz sicher …«
»Ich bin sicher«, sagte Frieda. »Rina paßt gut auf mich auf.«
Niemand sagte etwas. Dann hörten sie Miriam seufzen und kurz darauf, wie ihre Schritte sich entfernten.
»Sie machen sich alle furchtbare Sorgen um Sie«, sagte Rina.
»Das hab ich gar nicht verdient.«
»Hören Sie bitte auf damit.«
»Oh, meine kleine Rina«, sagte Frieda. »Ich habe diese Leere in meinem Herzen, seit ich ihn weggegeben habe. Nichts hat sie vertreiben können. Ich wollte ihn finden. Ja, das wollte ich wirklich. Aber ich hatte nie den Mut dazu.«
»Das ist ja auch nicht leicht.«
»Er hat also in seiner Geburtsurkunde nachgesehen«, sagte Frieda. »Da muß er doch neugierig gewesen sein. Aber er ist nie mit mir in Kontakt getreten.«
»Er hat gesagt, er hätte seinen Namen auf diese Liste gesetzt …«
»Ach ja, ich weiß von dieser Liste. Ich habe so oft nach dem Telefon gegriffen … aber ich hab mich zu sehr geschämt, hatte zu viel Angst. Es war mir zu peinlich! Aber wenn er doch wußte, wer ich war, warum ist er dann nicht zu mir gekommen?«
»Er wußte, daß Sie verheiratet sind und fünf Kinder haben. Er wollte sich nicht in Ihr Leben drängen.«
»Er ist ein besserer Mensch als ich.«
Rina drückte ihr die Hand. Frieda sah zu ihr auf und lächelte. »Er hat sich eine schöne Frau ausgesucht. Eine junge Frau für sein Alter.« Sie runzelte die Stirn. »Er
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