Tag der Entscheidung
Blick frei auf den Himmel und Wolken, und die Lady war von Sonnenlicht umgeben. Sie drückte seine Hand in beinahe mädchenhafter Aufregung, obwohl das ganze Unternehmen auch sie hatte altern lassen. Die grauen Strähnen in ihrem dunklen Haar wurden deutlicher, und ihre Augen zeigten tiefe Falten als Folge des häufigen Aufenthalts im Freien. Und doch hatte ihr Gesicht niemals schöner ausgesehen; das Altern hatte ihr eine Tiefe und etwas Geheimnisvolles gegeben, das den spurenlosen Gesichtern der Jugend fehlte.
»Lujan, Ihr habt den Acoma größte Ehre gewonnen«, sagte sie schnell. »Durch Eure Tat im Kreis habt Ihr diesen Cho-ja von Chakaha bewiesen, daß die tsuranische Tradition nicht die alles verschlingende Lebensweise ist, für die sie sie gehalten haben. Jahrhundertelang haben sie gesehen, wie Tsuranis Lügen vorbrachten. Sie verstanden alles, was ich sagte, und mit Hilfe ihrer Magie wußten sie sogar, daß ich an meine Überzeugungen glaubte, und doch hatte ihre eigene Vergangenheit sie gelehrt, daß solche Zurschaustellungen von Friedfertigkeit nur das Vorspiel zu noch mehr Gewalt und Betrug waren.«
Sie holte erleichtert Luft. »Ihr habt uns eine Begnadigung verschafft, durch Euren Mut und Euren Einfallsreichtum. Eure Handlungen stimmten mit meinen Worten überein und überzeugten sie, daß wir uns vielleicht von unseren Ahnen unterscheiden. Der anwesende Cho-ja-Magier war erstaunt von Eurer Tat und bereit, sich den Erinnerungsstein anzusehen, den Gittania uns gegeben hat. Auf ihm waren die Berichte meines Treffens mit der Schwarmkönigin auf dem alten Acoma-Besitz, und ihre flehentliche Bitte hat sie beeindruckt.«
»Unser Todesurteil wurde widerrufen? Wir werden frei sein?« stieß Lujan atemlos hervor, als der Mediziner eine Pause machte.
»Noch besser.« Maras Augen glühten vor Stolz. »Wir erhalten sicheren Durchgang durch Thuril zu unserem Schiff, und zwei Cho-ja-Magier werden mit uns reisen, wenn wir nach Tsuranuanni zurückkehren. Die Stadt Chakaha hat beschlossen, uns zu helfen, in der Hoffnung, daß die Befreiung der tsuranischen Cho-ja vom Kaiser bewerkstelligt werden wird. Ich habe erklärt, daß ich mein Amt nutzen werde, mich für sie zu verwenden; ich bin ziemlich sicher, daß Ichindar nicht nein sagen kann, wenn ich ihm erst alles erklärt habe.«
»Götter!« rief Lujan aus. »Alles, was wir hätten erbitten können, gewähren sie uns.« Er war so aufgeregt, daß er seinen Schmerz vergaß und versuchte sich zu bewegen.
Jetzt meldete sich der Mediziner zu Wort. »Lady Mara, die Wunden dieses Kriegers sind sehr ernst. Ihr dürft ihn nicht aufregen, denn er muß einige Wochen ruhen, damit sein Bein so gut wie möglich heilen kann.« Er wandte seine schwarzen Facettenaugen Lujan zu. »Oder bevorzugt es der schätzenswerte Kommandeur zu hinken?«
Lujan spürte plötzlich Kraft durch seinen Körper strömen, und er lachte. »Ich kann geduldig warten, während mein Körper heilt. Doch nicht so geduldig, daß ich endlose Wochen im Bett liegen kann!«
Er ließ seinen Kopf auf das Kissen sinken, erwärmt durch Maras Lächeln. »Ruht Euch jetzt aus«, befahl seine Herrin. »Kümmert Euch nicht um die Verzögerung. Wir können Hokanu mit Hilfe der Thuril-Niederlassungen und übers Meer fahrender Händler benachrichtigen. Denn jetzt haben wir Zeit, Lujan. Und während Eure Wunden heilen, werde ich versuchen, unsere Gastgeber dazu zu bewegen, uns einige ihrer Wunder zu zeigen.«
Sieben
Rückkehr
Die Barke verließ das Ufer.
Mara lehnte am Geländer und sog die warme Brise tief ein. Der vertraute Geruch von feuchter Erde, frischem Seewasser, nasser Beplankung und der leichte Hauch vom Schweiß der Sklaven, die die Ruder bewegten, ließen sie erzittern. Zu Hause! In weniger als einer Stunde würde sie ihre Güter erreicht haben. Sie genoß die heiße Sonne auf ihrer Haut.
Dies war der erste Blick auf den Himmel und das Tageslicht, seit die Coalteca in der Nacht heimlich ausgelaufen war, nach wochenlanger Reise quer durch das Kaiserreich mittels der Cho-ja-Tunnel. Denn die Cho-ja-Magier hatten bestätigt, was sie bisher nur vermutet hatte: daß die Versammlung der Magier durch die dunkle Erde nicht hindurchspähen konnte. Was in den Cho-ja-Tunneln vor sich ging, war für sie nicht sichtbar, ein schwieriges Zugeständnis bei der Vertragsherstellung. Und so hatte sich ihre kleine Gruppe aus ausgewählten Kriegern, ihrer Dienerin Kamlio und den beiden Cho-ja aus Chakaha darangemacht, heimlich
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