Tag des Opritschniks, Der
mit einer tiefen Verbeugung, wie es sich für den Zuspätkommendengeziemt. Dann begebe ich mich zu meinem Platz, nahe dem Alten. Die langen Tische sind so aufgestellt, dass sie allesamt auf den einen stoßen, an dem der Alte sitzt und mit ihm die beiden Flügel – der rechte und der linke.
Ich setze mich auf meinen angestammten Stuhl – es ist der vierte zur Rechten, zwischen Schelet und Prawda. Der Alte zwinkert mir zu, während er in eine Pirogge beißt. Zu spät zu kommen gilt hier nicht als Frevel: Alle haben wir viel um die Ohren, manchmal zieht sich das hin bis nach Mitternacht. Ein Diener bringt mir eine Schale mit Wasser, ich wasche mir die Hände, trockne sie ab. Sieh an, gerade wird ein neuer Gang aufgetragen! Die Diener bringen gebratenen Truthahn herein. Auf den Tischen stehen derweil nur Brot und Sauerkraut. Unter der Woche mag der Alte keine Delikatessen auf dem Tisch haben. Zu trinken gibt es nur Kagor in Krügen, Kwass und Quellwasser. Wodka zu trinken ist hier an Wochentagen nicht üblich.
Prawda gießt mir einen Becher süßen roten Kagorwein ein.
»Na, was ist, Bruder Komjaga, gut geschuftet?«
»Allerdings, Bruder Prawda.«
Ich stoße mit ihm an und auch mit Schelet, leere den Becher in einem Zug. Dabei fällt mir ein, dass ich schon lange nichts Richtiges zu mir genommen habe. Bei der Gossudarin sind mir die Bissen vor Aufregung im Halse steckengeblieben. Der Hunger treibt den Wolf aus dem Busch. Wurde Zeit, wirklich allerhöchste Zeit, dass der Diener mir jetzt eine Platte mit Truthahn, Bratkartoffeln und gedämpften Rüben vor die Nase stellt. Ich angele mir einen Truthahnschenkel und schlage die Zähne hinein: sehr gut! Im Ofen vom Alten bestens geraten. Schelet nagt schmatzend an einem Flügel und sagt: »Nirgends isst man besser als bei unserem Alten!«
»Das ist die heilige Wahrheit«, rülpst Prawda.
»Alles, was recht ist«, brumme ich und schlinge das saftige Truthahnfleisch. »Unser Alter füllt uns den Magen, heizt uns das Blut und rückt uns den Kopf zurecht, außerdem verdient man bei ihm gut.«
Dabei schiele ich zu ihm hinüber. Er, als könnte er unseren Beifall spüren, blinzelt verlegen, langt dabei wie immer in aller Gemächlichkeit zu. Hinter ihm, unserem Vater, fühlen wir uns sicher wie hinter einer steinernen Mauer. Und das ist gut so.
Während ich esse, lasse ich den Blick am Tisch vom Alten entlangschweifen. An den Schmalseiten, wo die Flügel der Opritschnina enden, sitzen üblicherweise ein paar Ehrengäste. So auch heute: zur Rechten der breitschultrige Metropolit Kolomenski mit dem weißbärtigen Paraxiliarchen der Dreikönigskathedrale in Jelochowo, der zehn Pud schwere Vorsitzende der Allrussischen Gesellschaft für Menschenrechte mit dem Abzeichen vom Erzengel-Michael-Bund am Revers, der ewig lächelnde Pater Hermogenes, was der Beichtvater der Gossudarin ist, irgendein Nachwuchsbeamter aus der Handelskammer, der Handelsattaché der Ukraine Stefan Goloborodko und der Unternehmer Michail T. Porochowschtschikow, ein alter Freund vom Alten; zur Linken wie gewohnt der für die Opritschnina zuständige Oberarzt Pjotr Wachruschew mit seinem beständigen Assistenten Bao Zai, der einäugige Kommandeur des Kremlgarderegiments, eine stattliche Erscheinung, sodann der Volksliedsänger Tschurilo Wolodjewitsch, der ewig missmutige Losjuk aus der Geheimen Kanzlei, der Russische Meister im Faustkampf Schbanow, der mondgesichtige Vorsitzende des Rechnungshofes Sacharow, Wasja Ochlobystin, der Leibjäger des Alten, der Regimentskommandeur Goworow und der Chefbademeister im Kreml, Anton Mamona.
Jetzt erhebt der Alte seinen Becher und steht auf. Der Lärm verebbt.
»Auf die Gesundheit unseres Gossudaren!«, verkündet er mit schallender Stimme.
»Auf die Gesundheit des Gossudaren!«, rufen wir, uns gleichfalls erhebend, den Becher in der Hand. Wir leeren ihn bis zum Grund. Kagor ist kein Champagner, der trinkt sich nicht so flott weg. Er zieht den Mund zusammen. Wir ächzen, wischen uns den Bart, nehmen wieder Platz. Und just in diesem Moment, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, erscheint an der Decke des Saales der regenbogenschillernde Rahmen mit dem ach so vertrauten schmalen Gesicht, dem dunkelblonden Kinnbart. Unser Gossudar!
»Seid bedankt, Opritschniki!«, tönt seine Stimme durch den Saal.
»Es lebe unser Gossudar, er lebe hoch!«, brüllt der Alte.
Wir stimmen ein in-ein-dreifaches: »Hoch! Hoch! Hoch!«
»Dran und drauf!«, erwidert der Gossudar
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