Tag des Opritschniks, Der
schlimm?«
Ihre schwarzen Augen füllen sich mit Tränen. Sie wischt sie mit dem Taschentuch aus.
Ich nehme allen Mut zusammen.
»Meine Gossudarin, es handelt sich um eine Handvoll gehässiger Renegaten«, sage ich.
Sie starrt mich an wie die Tigerin eine Maus. Ich bereue es, den Mund aufgemacht zu haben.
»Eine Handvoll Renegaten, von wegen!«, faucht sie. »Unser ganzes barbarisches Volk hasst mich, du Idiot!«
Ich verstehe ihr Leid. Unser Volk ist ein harter Brocken. Man hat zu knabbern daran. Aber ein anderes hat Gott uns nicht gegeben. Ich schweige. Die Gossudarin denkt nicht mehr ans Essen, sie presst das Ende des zusammengelegten Fächers gegen ihre Lippen.
»Sie sind nur neidisch. Das macht ihre Unterwürfigkeit. Speichellecken, das können sie. Aber aufrichtig lieben können sie uns Mächtige nicht. Und sie werden es niemals lernen. Bei der erstbesten Gelegenheit reißen sie einen in Stücke.«
Noch einmal wage ich den Versuch.
»Meine Gossudarin, seid ganz unbesorgt. Wir drehen diesem Artamoscha den Hals um. Wir zerquetschen ihn wie eine Laus.«
»Was hat Artamoscha damit zu tun!«, brüllt sie und schlägt mit dem Fächer auf den Tisch, erhebt sich schroff.
Auch ich springe auf.
»Bleib sitzen!«
Ich setze mich wieder hin. Der Windhund knurrt mich an. Die Gossudarin rennt im Zimmer herum, ihr Kleid rauscht bedrohlich.
»Artamoscha! Als ob es um den ginge! …«
Sie geht auf und ab, redet vor sich hin. Bleibt stehen, wirft den Fächer auf den Tisch.
»Artamoscha, ha! … Nein, es sind die Weiber von diesen Provinzadligen, denen ich ein Dorn im Auge binund die die Gottesnarren auf mich hetzen. Und die wieder sind es, die das Volk irremachen. Von den Bojarenweibern über die heiligen Narren weht der Wüstenwind der Rebellion ins Volk. Nikola Wolokolamski! Andrej Sagorjanski! Afoni Ostankinski! – Was verbreiten die über mich, he? Sag schon!«
»Das sind stinkende Köter, meine Gossudarin, die ziehen durch die Kirchen und säen üble Gerüchte aus … Aber der Gossudar hat untersagt, sie anzurühren. Sonst hätten wir sie längst …«
»Was sie über mich reden, frage ich dich!«
»Ach … Sie behaupten, Ihr würdet nachts Euern Leib mit Chinabalsam einschmieren und Euch in eine Hündin verwandeln …«
»… und den Rüden hinterherhecheln, stimmt’s?«
»Jawohl, meine Gossudarin.«
»Was erzählst du mir dann von Artamoscha? Er plappert nur nach, was schon in der Welt ist! Artamoscha! …«
Sie läuft umher und stößt wütende Tiraden aus. Ihre Augen sprühen. Zwischendurch greift sie nach dem Glas, nimmt einen Schluck.
»Herrje«, seufzt sie, »du hast mir ganz den Appetit verdorben. Na gut, hau ab jetzt …«
Ich stehe auf, verbeuge mich, gehe rückwärts in Richtung Tür.
»Warte!« Ihr ist etwas eingefallen. »Was wollte die Praskowja nochmal von mir haben?«
»Baltischen Hering, Farnsamen und Bücher.«
»Bücher. Na, dann komm mit. Ehe ich es vergesse …«
Die Gossudarin rauscht aus dem Speisezimmer, die Türen schwingen vor ihr auf. Ich eile hinterher. Wir gehen bis zur Bibliothek. Der Bibliothekar der Gossudarin, ein bemooster Brillenbär, springt auf von seinem Stuhl, verbeugt sich.
»Was wünschen meine Gossudarin?«
»Terenti, komm mit.«
Der Bibliothekar trippelt ihr nach. Die Gossudarin tritt vor die Regale. Von denen es viele gibt. Mit Unmengen von Büchern. Ich weiß, dass unsere Gossudarin gern vom Papier liest. Beileibe nicht nur »Die unseligen Möpse«. Sie ist belesen.
Ihr Blick wandert über die Borde.
»Hier! Das brennt bestimmt gut und lange.«
Sie gibt dem Bibliothekar einen Fingerzeig. Er nimmt Anton Tschechows »Gesammelte Werke« vom Regal.
»Die schickst du Praskowja«, trägt die Gossudarin ihrem Bibliothekar auf.
»Zu Befehl!«, nickt er, mit den Büchern hantierend.
»Das war’s!«, spricht unsere Mamma und macht kehrt, verlässt das Bücherdepot auf kürzestem Wege.
Ich eile ihr nach. Sie schwebt zurück in ihre Gemächer. Die vergoldeten Türen schwingen auf. Da rasseln auf einmal Schellen, unsichtbare Balalaikas klimpern, und ein paar kräftige Männerstimmen heben zu singen an:
Mit der Latte Siebenzoll
Hau mir straff die Hucke voll!
Mächtige Latte! Ha!
Hucke aus Watte! Ha! …
Unsere Gossudarin wird durch die Meute ihrer Gnadenbrotempfänger begrüßt. Freudengeheul und -gekreisch, Verbeugungen. Sind das viele! Und wer und was nicht alles dazugehört! Komiker sind darunter und gelehrte Nonnen, Wanderbettler,
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