Tag des Opritschniks, Der
lächelnd.
»Dran und drauf! Dran und drauf! Dran und drauf!«, braust es wie eine mächtige Woge durch den Saal.
Den Kopf im Nacken, den Blick zu ihm erhoben, sitzen wir da. Unsere Sonne wartet, bis Ruhe eingekehrt ist. Dann erkundigt sie sich mit warmer Stimme und väterlichem Blick:
»Wie war der Tag?«
»Schuld und Sühne! Ein guter Tag! Gottlob, mein Gossudar!«
Einen Moment lang sagt unser Gossudar nichts. Lässt seine klaren Augen über uns gehen.
»Über eure Arbeit weiß ich Bescheid. Ich danke euch für euren Dienst. Ich baue auf euch.«
»Dran und drauf!«, brüllt der Alte.
»Dran und drauf! Dran und drauf!«, brüllen wir.
Die Saaldecke vibriert von unseren Stimmen. Der Gossudar schaut von ihr herab.
»Ich brauche euren Rat«, sagt er.
Im Nu sind wir still. Das sieht unserem Gossudaren ähnlich: Er hört auf unsere Ratschläge. Darin liegt seine große Weisheit und ebenso eine große Natürlichkeit. Das ist der Grund, weshalb unser Staat unter seiner Führung zur Blüte treibt.
Wir sitzen da mit angehaltenem Atem.
Unsere Sonne zögert noch ein wenig. Dann sagt sie:
»Es geht um die Leihverträge.«
Ah ja. Alles klar. Der chinesische Hemmschuh. Ein altes Ärgernis. Gordischer Knoten. Wie oft hat der Gossudar sich schon angeschickt, ihn zu zerhauen, und immer waren es die eigenen Leute, die ihm in den Arm fielen. Aber so ganz die eigenen eben doch nicht. Fremdkörper. Wenn nicht überhaupt Ausländer.
»Vor einer halben Stunde hatte ich eine Unterredung mit Zhou Shen Ming. Mein Freund und Herrscher im Reich der Mitte zeigt sich beunruhigt über die Situation der Chinesen in Westsibirien. Ihr wisst, nachdem ich die Belehnung der dortigen Landkreise durch die Bezirke per Dekret untersagt hatte, schien sich die Lage zu bessern. Aber leider nicht für lange. Nunmehr lassen die Chinesen sich nicht mehr über die Landkreise anheuern, sondern über Siedlungen ohne Land in Form sogenannter Tanhu 1 -Lehen mit betrieblicher Anforderung, damit unsere Vollzieher sie als Minijobber registrieren dürfen und nicht als Steuerzahler. Sie machen sich das Gesetz ›Über die vier Lasten‹ zunutze, und unsere Amtsleute, das könnt ihr euch vorstellen, werden von ihnen bestochen und registrieren sie eben als Zeitarbeiter mit Sack und Pack, nicht abgabepflichtig. Zeitarbeiter sind aber nichts anderes als Minijobber, nur nach den neuen Richtlinien. Am Ende bebauen sie ihre Parzellen, entrichten aber nur Abgaben für Geringverdienende, weil ihre Frauen und Kinder als befristete Mitesser geführt werden. Folglich werden ihre Abgaben über diesen ganzen steuerbefreiten Zeitraum nicht halbiert, sondern zwei zu drei gesenkt. Was bedeutet, dass China Halbjahr für Halbjahr ein Drittel an Abgaben einbüßt. Und das Tanhu-Lehen ermöglicht den bei uns lebenden Chinesen, ihr Heimatland zu beschummeln. Eingedenk der Tatsache, dass 28 Millionen Chinesen in Westsibirien leben, kann ich die Besorgnis meines Freundes Zhou Shen Ming sehr gut nachvollziehen. Pro Halbjahr entgehen China fast drei Milliarden Yuan. Ich habe heute mit Zwetow und mit Silbermann gesprochen. Beide Minister raten mir, das Gesetz ›Über die vier Lasten‹ abzuschaffen.«
Der Gossudar verstummt. Darum also geht es! Wieder ist das Lastengesetz einem von den Amtsschimmeln quer im Hals steckengeblieben. Weil die Spitzbuben ihren Gewinn nicht teilen wollen!
»Darum möchte ich meine liebe Opritschnina fragen, was sie zu dieser Angelegenheit meint.«
Rumoren im Saal. Was wir dazu meinen, ist ja wohl klar! Jeder möchte etwas dazu sagen. Aber da hebt unser Ältester die Hand, und das Rumoren verebbt.
»Mein Gossudar, unsere Herzen beben vor Zorn!«, spricht der Alte. »Das Tanhu-Lehen haben nicht die Chinesen sich ausgedacht. Während Ihr, mein Gossudar, so gütig seid, für die Interessen des uns in Freundschaft verbundenen Reiches der Mitte einzustehen, knüpfen die Feinde in den Bezirken Westsibiriens ihre heimtückischen Netze. Zusammen mit dem rosa Minister und den Kanzleien, der Auswärtigen und der Zollkanzlei, haben sie dieses Lehen ausgeheckt!«
»Jawohl! Sehr richtig! Schuld und Sühne!«, ruft es von allen Seiten.
Netschai springt auf, einer vom Stamm, der mit der Auswärtigen Kanzlei so seine Erfahrungen hat.
»Schuld und Sühne, mein Gossudar! Wie wir im vorigen Jahr die Säuberung der Auswärtigen Kanzlei durchführten, da hat der unverbesserliche Sekretär Stockman auf der Folterbank gestanden, Zwetow höchstpersönlich habe in der Duma
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