Tag und Nacht und auch im Sommer
bestimmt Shakespeares Worte an den Kopf, und Hamlet starrt mich wieder mit seinen kalten schwarzen Augen an. Mir werden die Worte fehlen, und ich werde mich lächerlich machen, wenn ich versuche, mit meinen rotgeränderten Augen zurückzustarren.
Meine Schüler sagten, es sei dumm, soviel Geld für ein Buch von Shakespeare auszugeben, nichts für ungut, und wenn ich unbedingt Leute beeindrucken wolle, könne ich doch in die Bibliothek gehen und die Zitate alle abschreiben. Außerdem müsse man schon ziemlich dämlich sein, um sich von einem Kerl beeindrucken zu lassen, bloß weil der diesen alten Schriftsteller zitiert, den sowieso kein Mensch lesen kann. Manchmal laufen ja im Fernsehen Stücke von diesem Shakespeare, und man versteht nur Bahnhof, also was soll’s? Das Geld für das Buch hätte ich mal besser für etwas Schickes wie Schuhe oder eine schöne Jacke ausgeben sollen, oder, na ja, ich hätte ein Mädchen ins Kino ausführen können.
Manche Mädchen sagten, sie fänden es richtig süß, daß ich mit Shakespeare Eindruck schinden wollte, aber bei ihnen würde es ehrlich gesagt nicht funktionieren. Warum muß dieser Shakespeare auch in so einer altmodischen Sprache schreiben, die niemand versteht?
Ich war um eine Antwort verlegen. Sie hakten nach: Warum? Ich fühlte mich in die Enge getrieben, aber ich konnte ihnen nur sagen, ich wisse es auch nicht. Wenn sie mir ein bißchen Zeit ließen, würde ich versuchen, es herauszufinden. Sie warfen einander vielsagende Blicke zu. Der Lehrer weiß es nicht? Wie ist das möglich? Ist der überhaupt echt? Mann. Wie ist der Lehrer geworden?
He, Mister, wissen Sie noch mehr Geschichten?
Nein, nein, nein.
Sie sagen andauernd nein, nein, nein.
Schluß jetzt. Keine Geschichten mehr. Das hier ist eine Englischstunde. Es gibt schon Beschwerden von Eltern.
Och, Mann. Mr. McCourt, waren Sie in der Army? Haben Sie in Korea gekämpft?
Ich habe mir nie groß was auf mein Leben eingebildet, aber ich verabreichte ihnen weiterhin das eine oder andere Häppchen – die Trinkerei meines Vaters, die Tage in den Slums von Limerick, als ich von Amerika träumte, der Katholizismus, die tristen Tage in New York, und ich war überrascht, daß diese New Yorker Teenager immer noch mehr hören wollten.
3
I ch erzählte ihnen, daß ich dank der GI-Bill nach meinen zwei Jahren bei der Army vier Jahre an der New York University verdösen konnte. Ich arbeitete nachts, um mein Stipendium von Vater Staat aufzubessern. Ich hätte auch nur halbtags studieren können, war aber versessen darauf, meinen Abschluß zu machen und die Welt und die Frauen mit meinem akademischen Grad und meinem College-Wissen zu beeindrucken. Ich war Weltmeister im Erfinden von Ausreden für zu spät abgelieferte Arbeiten und versäumte Prüfungen. Ich nuschelte geduldigen Professoren etwas von den Mißgeschicken meines Lebens vor, raunte von Unglück und Not. Der irische Akzent kam mir zustatten. Ich lebte zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Die Universitätsbibliothekarinnen versetzten mir Rippenstöße, wenn ich hinter einem Bücherstapel schnarchte. Eine klärte mich auf, es sei strengstens verboten, ein Nickerchen zu machen. Sie wies mich freundlich darauf hin, daß draußen im Washington Square Park jede Menge Bänke stünden, auf denen ich mich ausstrecken könne, bis die Polizei komme. Ich bedankte mich und versicherte ihr, ich hätte Bibliothekarinnen schon immer bewundert, nicht nur, weil sie die Dewey-Dezimalklassifikation beherrschen, sondern auch für ihre Hilfsbereitschaft auf anderen Gebieten des Alltagslebens.
Der Pädagogikprofessor an der New York University warnte uns vor den Fallstricken unserer zukünftigen Lehrtätigkeit. Er sagte, erste Eindrücke seien entscheidend. Er sagte, davon, wie Sie Ihrer ersten Klasse entgegentreten und sie begrüßen, kann der Verlauf Ihrer ganzen Karriere abhängen. Ihrer ganzen Karriere. Die Schüler beobachten Sie. Sie beobachten die Schüler.
Sie haben es mit amerikanischen Teenagern zu tun, einer gefährlichen Spezies, und die werden kein Erbarmen mit Ihnen haben. Sie taxieren Sie und beschließen dann, wie sie mit Ihnen umspringen werden. Sie sitzen am längeren Hebel, meinen Sie? Vergessen Sie’s. Die sind wie wärmegesteuerte Flugkörper. Ein Urinstinkt treibt sie dazu, Sie zur Strecke zu bringen. Es ist die Funktion der Jungen, die Alten aus dem Weg zu räumen, um Platz auf dem Planeten zu schaffen. Das wissen Sie doch, nicht wahr? Die Griechen haben
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