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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Huldigungen an die Genialität Shakespeares und Ausrufezeichen, die meine Begeisterung oder Verwirrung ausdrücken. Auf das Vorsatzblatt habe ich geschrieben, »O schmölze doch dies allzu feste Fleisch, usw.« Das zeigt, was für ein schwermütiger junger Mann ich war.

    Als ich dreizehn oder vierzehn war, hörte ich immer Shakespearestücke im Radio, bei Mrs. Purcell, unserer blinden Nachbarin. Sie sagte mir, Shakespeare sei ein Ire gewesen, der sich seiner Herkunft schämte. An dem Abend, als wir Julius Cäsar hörten, brannte eine Sicherung durch, und ich war so gespannt darauf, was aus Brutus und Marcus Antonius geworden war, daß ich in O’Mahonys Buchhandlung ging, um die Geschichte zu Ende zu lesen. Ein Verkäufer fragte mich hochnäsig, ob ich die Absicht hätte, das Buch zu kaufen, und ich erwiderte, ich würde es mir überlegen, müsse aber vorher noch herauskriegen, was am Schluß aus allen geworden sei, vor allem aus dem einen, der mir besonders gefiel, Brutus. Der Mann sagte, vergiß Brutus, nahm mir das Buch weg und sagte, das hier sei keine Bibliothek, und ich solle doch so freundlich sein und den Laden verlassen. Rot vor Scham stolperte ich hinaus und fragte mich, warum die Menschen nicht aufhören, andere Menschen zu drangsalieren. Das frage ich mich noch heute.
    Das Buch kostete neunzehn Shilling, einen halben Wochenlohn. Ich wollte, ich könnte behaupten, ich hätte es aus ernstem Interesse für Shakespeare gekauft. Es war aber ganz anders. Ich mußte es haben, weil ich einen Film gesehen hatte, in dem ein amerikanischer Soldat in England mit Shakespeare-Zitaten um sich warf und die Mädchen sich alle unsterblich in ihn verliebten. Außerdem braucht man nur durchblicken zu lassen, daß man Shakespeare liest, und sofort betrachten einen die Leute mit Respekt. Ich dachte mir, wenn ich lange Passagen auswendig lernte, würde ich die Mädchen von New York beeindrucken. Ich kannte bereits »Freunde, Römer, Landsleute«, aber als ich das einmal zu einem Mädchen in Limerick sagte, sah sie mich an, als wäre mir eben ein Horn auf der Stirn gewachsen.
    Auf der O’Connell Street hätte ich am liebsten mein Päckchen ausgewickelt und mich der Welt mit Shakespeare unterm Arm gezeigt, aber ich traute mich nicht. Ich kam an dem kleinen Theater vorbei, in dem ich einmal die Hamlet- Aufführung
einer Wanderbühne gesehen hatte, und erinnerte mich, wie leid ich mir getan hatte, weil ich genauso gelitten hatte wie Hamlet. Nach dem Ende der Vorstellung kam er höchstpersönlich noch einmal auf die Bühne und ließ das Publikum wissen, wie dankbar er und die ganze Truppe für unseren Besuch seien, wie müde er sei, er und die Truppe, und wie sehr sie unsere Unterstützung in Form von etwas Kleingeld zu schätzen wüßten, das wir in die Schmalzdose an der Tür legen könnten. Ich war so gerührt von dem Stück, weil es so viel von mir und meinem düsteren Leben enthielt, daß ich Sixpence in die Schmalzdose warf und am liebsten noch einen Zettel dazugelegt hätte, um Hamlet mitzuteilen, wer ich war und daß mein Leid echt war und nicht nur gespielt.
    Am nächsten Tag stellte ich in Hanrattys Hotel ein Telegramm zu, und da war die ganze Hamlet- Truppe. Sie tranken und sangen in der Bar, während der Hoteldiener hin und her lief und ihr Gepäck auf einen Transporter lud. Hamlet selbst saß allein am Ende des Tresens und trank seinen Whiskey, und ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, aber ich sagte ihm guten Tag. Immerhin waren wir beide von unseren Müttern betrogen worden und litten schrecklich. Von meinem Leid würde die Welt nie erfahren, und ich beneidete ihn darum, daß er Abend für Abend seinen Qualen Ausdruck verleihen konnte. Hallo, sagte ich, und er starrte mich aus zwei schwarzen Augen unter schwarzen Brauen in einem weißen Gesicht an. Er hatte all die Worte Shakespeares im Kopf, aber jetzt ließ er sie auch dort, und ich wurde rot wie eine Tomate und stolperte über meine eigenen Füße.
    Beschämt radelte ich die O’Connell Street entlang. Dann fielen mir die Sixpence ein, die ich in die Schmalzdose geworfen hatte, Geld für den Whiskey und das Gesinge in der Bar im Hanratty, und ich hatte gute Lust, zurückzufahren, die ganze Truppe und Hamlet persönlich zur Rede zu stellen und ihnen zu sagen, was ich von ihnen hielt, von ihren verlogenen Geschichten
über die Müdigkeit und davon, daß sie das Geld armer Leute vertranken.
    Pfeif auf die Sixpence. Wenn ich noch einmal auftauche, werfen sie mir

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