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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Rechnung, und während die Kellnerin ihm den Blick verstellte, konnte June den Zettel auf meinen Tisch
fallen lassen. Ich wartete, bis die beiden gegangen waren. »Frank, ruf mich morgen an.« Die Telefonnummer hatte sie mit Lippenstift geschrieben.
    Mein Gott. Sie nahm mich wahr, mich, einen Hafenarbeiter, der Lehrer werden wollte, und der Professor war, gütiger Himmel, ein Professor. Aber sie wußte meinen Namen. Mir war ganz schwindlig vor Glück. Da stand mein Name auf einer Papierserviette, geschrieben mit Lippenstift, der ihre Lippen berührt hatte, und ich wußte, ich würde dieses Stück Papier für immer behalten. Mich damit begraben lassen.
    Ich rief sie an, und sie fragte mich, wo wir gemütlich einen trinken könnten.
    Im Chumley’s.
    Okay.
    Was sollte ich tun? Wie sollte ich sitzen? Was sollte ich sagen? Ich war auf einen Drink verabredet, mit dem schönsten Mädchen von Manhattan, das wahrscheinlich jeden Abend mit diesem Professor schlief. Das war mein Martyrium, der Gedanke, daß sie mit ihm zusammen war. Die Männer im Chumley’s schauten mich an und waren neidisch, und ich wußte, was sie dachten. Wer ist das jämmerliche Subjekt da mit diesem schönen Kind, dieser Wahnsinnsfrau, dieser heißen Braut? Gut, vielleicht war ich ja ihr Bruder oder ihr Vetter. Nein, sogar das war unwahrscheinlich. Ich sah nicht gut genug aus, um auch nur ihr Vetter dritten oder vierten Grades sein zu können.
    Sie bestellte sich einen Drink. Norm ist nicht da, sagte sie. Zwei Tage in der Woche hat er Kurse in Vermont. Das Großmaul Seymour hat dir sicher schon alles berichtet.
    Nein.
    Warum bist du dann hier?
    Du … du hast mich eingeladen.
    Was denkst du von dir selbst?
    Wie bitte?
    Eine einfache Frage. Was denkst du von dir selbst?

    Ich weiß nicht. Ich …
    Sie schaute mißbilligend. Du rufst an, wenn man dir sagt, du sollst anrufen. Du trabst an, wenn man dir sagst, du sollst antraben, und du weißt nicht, was du von dir selbst denkst. Sag um Himmels willen irgendwas Gutes über dich. Mach schon.
    Mir schoß das Blut in den Kopf. Ich mußte etwas sagen, sonst würde sie womöglich aufstehen und gehen.
    Ein Rampenchef am Hafen hat mal gesagt, ich wär ein zäher kleiner Mick.
    Na ja. Nimm diese Antwort, und leg noch zehn Cent drauf, dann kannst du zwei Stationen U-Bahn fahren. Du bist eine verlorene Seele. Das sieht man gleich. Norm mag verlorene Seelen.
    Die Worte sprangen mir förmlich aus dem Mund: Ist mir piepegal, was Norm mag.
    O Gott. Jetzt wird sie aufstehen und weggehen. Nein. Sie mußte so lachen, daß sie sich fast an ihrem Wein verschluckte. Von da an war alles anders. Sie lächelte mir zu und lächelte und lächelte. Ich wäre vor Glück fast aus der Haut gefahren.
    Sie streckte den Arm über den Tisch und legte ihre Hand auf meine, und mein Herz tobte wie ein wild gewordener Affe in einem Käfig. Komm, gehen wir, sagte sie.
    Wir gingen zu ihrem Apartment in der Barrow Street. Drinnen drehte sie sich um und küßte mich. Sie ließ den Kopf kreisen, so daß ihre Zunge im Uhrzeigersinn in meinem Mund herumwanderte, und ich dachte, Herr, ich bin nicht würdig. Warum hast du mir das nicht gezeigt, bevor ich sechsundzwanzig wurde?
    Sie sagte, ich sei ein gesunder Bauer mit einem offensichtlichen Hunger nach Zuneigung. Es ärgerte mich, daß sie mich einen Bauern nannte – mein Gott, immerhin hatte ich ein paar Bücher gelesen, jede Zeile von E. Laurie Long, P. G. Wodehouse, Mark Twain, E. Philips Oppenheim, Edgar Wallace und dem guten alten Dickens –, und was wir hier taten, ging eindeutig
über den Ausdruck von Zuneigung hinaus, fand ich. Aber ich sagte nichts, weil ich mit derlei Aktivitäten keine Erfahrung hatte. Sie fragte mich, ob ich gern Seeteufel äße, und ich antwortete, das könne ich nicht sagen, denn ich hätte von diesem Fisch noch nie gehört. Sie sagte, alles hänge davon ab, wie man ihn zubereite. Ihr Geheimnis seien Schalotten. Das sei nicht jedermanns Sache, sagte sie, aber bei ihr funktioniere es. Es sei ein feiner Weißfisch, den man am besten mit einem guten Weißwein zubereite. Keinem normalen Kochwein, sondern einem guten. Norm habe auch mal Fisch gemacht, aber er habe alles verdorben, weil er irgendeine Pisse aus Kalifornien genommen habe, die den Fisch in eine Schuhsohle verwandelt habe. Der Ärmste kenne sich mit seiner Literatur und seinen Vorlesungen aus, aber von Wein oder Fisch verstehe er nicht die Bohne.
    Es ist seltsam, mit einer Frau zusammenzusein, die dein

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