Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
Vom Netzwerk:
Seymour zu allem eine eigene Meinung hatte. Das rothaarige Mädchen sagte zu Seymour, wenn er das so genau wisse, solle er es doch laut sagen.
    Um Himmels willen, nein, sagte Seymour. Der schmeißt mich glatt raus.
    Sie lächelte ihn an, und als sie mich anlächelte, war mir, als würde ich entschweben. Sie sagte, sie heiße June, und dann hob sie die Hand.
    Ja?
    Herr Professor, wie oft haben Sie schon an einer High School unterrichtet?
    Ach, ich habe im Lauf der Jahre Unterrichtsbesuche in Dutzenden von High-School-Klassen absolviert.
    Aber haben Sie auch schon selbst an einer High School unterrichtet?
    Wie heißen Sie, Miss?
    June Somers.
    Wie gesagt, ich habe Dutzende von Lehramtsanwärtern beobachtet und begleitet.

    Mein Vater ist Lehrer an einer High School, Herr Professor, und er sagt, man hat keine Ahnung, was es heißt, an einer High School zu unterrichten, solange man es nicht selbst gemacht hat.
    Er sagte, er wisse nicht, worauf sie hinauswolle. Sie solle nicht weiter seine Vorlesung stören, und wenn sie Wert darauf lege, die Diskussion fortzusetzen, könne sie sich von seiner Sekretärin einen Termin für eine Unterredung in seinem Büro geben lassen.
    Sie stand auf und hängte sich ihre Tasche über die Schulter. Nein, sie wird sich keinen Termin geben lassen, und sie sieht auch nicht ein, warum er nicht einfach ihre Frage nach seiner Unterrichtserfahrung beantworten kann.
    Das reicht, Miss Somers.
    Sie drehte sich um und schaute Seymour an, warf mir einen Blick zu und ging zur Tür. Dem Professor blieb der Mund offen, und die Kreide fiel ihm aus der Hand. Bis er sie aufgehoben hatte, war sie draußen.
    Was würde er jetzt gegen Miss June Somers unternehmen?
    Nichts. Er sagte, die Stunde ist fast vorbei, dann bis nächste Woche, nahm seine Tasche und ging hinaus. Seymour sagte, June Somers habe sich da gewaltig was eingebrockt. Gewaltig. Er sagte, eins kann ich dir sagen. Leg dich nie mit einem Professor an. Da ziehst du immer den kürzeren. Immer.
    Die Woche drauf sagte er, hast du das gesehen? Jesus.
    Ich fand, jemand, der eine Kippa trug, durfte nicht einfach so Jesus sagen. Wie hätte es ihm gefallen, wenn Jahwe ein Fluch wäre und ich ihm den um die Ohren hauen würde? Aber ich sagte nichts, aus Angst, er könnte mich auslachen.
    Er sagte, die gehen miteinander. Ich hab sie in einem Café in der Macdougal Street gesehen, die reinsten Turteltäubchen. Sie haben Kaffee getrunken, Händchen gehalten und sich tief in die Augen geschaut. Herrgott noch mal. Wahrscheinlich hat sie einen Plausch mit ihm in seinem Büro gehalten, und alles weitere ergab sich von allein.

    Ich hatte einen trockenen Mund. Ich dachte, eines Tages würde ich June zufällig auf der Straße begegnen und meine Sprache wiederfinden, und wir würden zusammen ins Kino gehen. Ich würde einen ausländischen Film mit Untertiteln aussuchen, um ihr zu zeigen, wie intellektuell ich bin, und sie würde mich bewundern und sich im Dunkeln von mir küssen lassen, so daß wir ein Dutzend Untertitel verpassen und den Handlungsfaden verlieren würden. Das würde aber nichts ausmachen, denn wir hätten genug miteinander zu reden, in einem kuscheligen italienischen Restaurant, in dem die Kerzen flackern und ihr Haar schimmert, und wer weiß, wohin das noch führen würde, denn weiter gingen meine Träume nicht. Für wen hielt ich mich überhaupt? Wie konnte ich mir einbilden, sie würde mich auch nur eine Sekunde lang ansehen?
    Ich klapperte die Coffeeshops in der Macdougal Street ab, in der Hoffnung, sie würde mich sehen und lächeln, und ich würde zurücklächeln und so nonchalant meinen Kaffee trinken, daß sie beeindruckt sein und noch einmal hersehen würde. Ich würde es so einrichten, daß sie den Umschlag meines Buches sah, irgendwas von Nietzsche oder Schopenhauer, und sie würde sich fragen, warum sie ihre Zeit mit dem Professor vertrödelte, wo sie doch auch mit diesem sensiblen Iren zusammensein konnte, der tief in der deutschen Philosophie versunken war. Sie würde sich entschuldigen und auf dem Weg zur Damentoilette einen Zettel mit ihrer Telefonnummer auf meinen Tisch fallen lassen.
    Genau das tat sie dann auch an dem Tag, als ich sie im Café Figaro sah. Als sie vom Tisch aufstand, schaute ihr der Professor mit solchem Besitzerstolz nach, daß ich ihn am liebsten von seinem Stuhl gestoßen hätte. Dann sah er zu mir her, und es war klar, daß er mich nicht einmal als einen seiner Studenten wiedererkannte.
    Er verlangte die

Weitere Kostenlose Bücher