Tag und Nacht und auch im Sommer
Traum. Ich kehrte auf die Kais zurück, dort fühlte ich mich wohler.
4
H e, Mr. McCourt, haben Sie auch schon mal richtig gearbeitet, nicht als Lehrer, mein ich, sondern, Sie wissen schon, richtige Arbeit?
Soll das ein Witz sein? Ist Unterrichten vielleicht keine Arbeit? Schau dich mal hier um, und dann frag dich, ob du dich jeden Tag hier vor euch hinstellen möchtest. Vor euch. Unterrichten ist schwerer als die Arbeit am Kai oder im Lagerhaus. Wie viele von euch haben Verwandte, die im Hafen arbeiten?
Die halbe Klasse, überwiegend Italiener, ein paar Iren.
Bevor ich an diese Schule kam, sagte ich, hab ich an den Kais von Manhattan, Hoboken und Brooklyn gearbeitet. Ein Schüler sagte, sein Vater kenne mich aus Hoboken.
Ich sagte, nach dem College habe ich das Lehramtsexamen abgelegt, aber ich dachte, daß ich für ein Leben als Lehrer nicht geschaffen bin. Ich wußte nichts von amerikanischen Teenagern. Hatte keine Ahnung, was ich euch erzählen sollte. Die Arbeit im Hafen war leichter. Trucks fahren rückwärts an die Rampe. Wir schwingen unsere Ladehaken. Ziehen, heben, schleifen, schieben. Auf Paletten stapeln. Der Gabelstapler gleitet heran, hebt die Last hoch, schaltet in den Rückwärtsgang, stapelt die Ladung im Lagerhaus und kommt wieder an die Rampe. Man hat körperlich gearbeitet, und das Gehirn hatte einen Tag frei. Man arbeitete von acht bis Mittag, aß in der Mittagspause ein ellenlanges Sandwich und trank ein Bier dazu, schwitzte es von eins bis fünf wieder aus und fuhr dann heim. Nach dem Abendessen Kino und ein paar Bierchen in einer Kneipe an der Third Avenue.
Wenn man einmal den Dreh raushatte, funktionierte man
wie ein Roboter. Man hielt mit dem kräftigsten Mann auf der Plattform mit, und Größe spielte keine Rolle. Man ging in die Knie, um den Rücken zu schonen. Wenn man es einmal vergaß, blafften einen die anderen an, Mann Gottes, hast du ’n Rückgrat aus Gummi oder was? Man lernte, den Haken bei verschiedenen Lasten unterschiedlich zu handhaben: Schachteln, Säcke, Kisten, Möbel, riesige, eingefettete Maschinenteile. Ein Sack Bohnen oder Pfefferschoten hat seinen eigenen Willen. Er kann auf die verschiedensten Arten seine Form verändern, und dem muß man sich anpassen. Man schätzte Größe, Form und Gewicht einer Last und wußte sofort, wie man sie heben und herumwuchten muß. Man lernte, mit Truckern und ihren Gehilfen umzugehen. Selbständige Trucker waren gut zu haben. Sie arbeiteten auf eigene Rechnung, gaben selbst das Tempo vor. Firmentrucker stachelten einen ständig an, schneller, Mann, jetzt hol das Zeug schon runter, mach schon, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. Die Gehilfen der Trucker waren immer muffig, egal, für wen sie arbeiteten. Sie versuchten einen mit allerlei Spielchen aus dem Takt zu bringen, vor allem wenn sie dachten, man sei frisch vom Schiff. Wenn man dicht am Rand eines Piers oder einer Rampe arbeitete, ließen sie unversehens den Sack oder die Kiste auf ihrer Seite los, so daß es einem leicht den Arm auskugeln konnte, und man lernte, sich von Rändern und Kanten jeder Art fernzuhalten. Dann lachten sie und sagten mit nachgemachtem irischem Akzent, meiner Seel, Paddy, oder Einen wunderhübschen guten Morgen. Über so was beklagte man sich nie bei einem Boß. Der hätte nur gesagt, was ’n los mit dir, Junge? Verstehst wohl kein Spaß? Eine Beschwerde machte alles bloß noch schlimmer. Ein Trucker oder ein Gehilfe konnten Wind davon bekommen und einen aus Versehen von der Rampe oder womöglich vom Pier stoßen. Ein Neuer aus der Grafschaft Mayo, ein Riesenkerl, regte sich mordsmäßig auf, als ihm jemand einen Rattenschwanz in sein Sandwich praktizierte, und als er drohte, den Witzbold umzubringen, der ihm
das angetan hatte, stieß ihn jemand versehentlich in den Hudson, und alle lachten, bevor sie ihm ein Tau hinunterwarfen und ihn von braunem Schaum triefend herauszogen. Als er lachen gelernt hatte, ließen sie ihn in Ruhe. Man kann nicht an den Kais arbeiten und ständig ein Gesicht ziehen. Nach einer Weile hören die Streiche auf, und es spricht sich herum, daß man was verträgt. Eddie Lynch, der Rampenchef, nannte mich einen zähen kleinen Mick, und das bedeutete mir mehr als der Tag, als ich in der Army zum Corporal befördert wurde, denn ich wußte ja, daß ich gar nicht so zäh war, sondern nur verzweifelt.
Ich sagte meinen Schülern, ich sei im Hinblick auf den Lehrerberuf so unsicher gewesen, daß ich daran dachte, mein Leben lang in
Weitere Kostenlose Bücher