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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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den Lagerhäusern am Hafen zu arbeiten, großer Fisch, kleiner Teich. Meine Bosse wären so beeindruckt von meinem College-Abschluß gewesen, daß sie mich als Kontrolleur eingestellt und mich zum Büroangestellten befördert hätten, wo ich bestimmt vorangekommen wäre. Ich hätte Chef aller Kontrolleure werden können. Ich wußte, wie es in den Lagerhausbüros und überhaupt in Büros zuging. Die Angestellten schoben gähnend Papiere von hier nach da und schauten durchs Fenster zu, wie wir uns auf der Rampe abschufteten.
    Kein Wort erzählte ich meinen Schülern von Helena, der Telefonistin, von der man im hintersten Winkel des Lagerhauses nicht nur Doughnuts bekommen konnte. Ich war durchaus nicht abgeneigt, bis Eddie mir sagte, wenn du die auch nur streifst, landest du mit einem triefenden Pimmel im St. Vincent’s Hospital.
    Was mir fehlte, wenn ich nicht an den Kais arbeitete, war, daß jeder seine Meinung sagte und sich einen Dreck darum scherte, ob er aneckte oder nicht. Ganz anders als die College-Professoren mit ihrem Einerseits ja, andererseits nein, so daß man nicht wußte, wie man dran war. Dabei war es wichtig zu wissen, was die Professoren dachten, schließlich mußte man es in der Prüfung parat haben. In den Lagerhäusern beleidigte jeder jeden,
und alle nahmen es als Flachserei, bis einer zu weit ging und die Ladehaken ins Spiel kamen. Das merkte man sofort. Wenn plötzlich nicht mehr gelacht und nur noch verkniffen gelächelt wurde, wußte man, daß irgendein Großmaul die Grenze überschritten hatte, und dann hieß es Haken oder Faust.
    Die Arbeit kam zum Stillstand, wenn auf den Piers und Laderampen eine Schlägerei ausbrach. Eddie sagte mir, den Männern gehe das ewige Heben und Schleppen und Stapeln auf die Nerven, immer dasselbe, jahrein, jahraus, und das sei der Grund, warum sie einander beleidigten und herumschubsten bis an den Rand einer ernsten Prügelei. Sie müßten irgend etwas tun, um Abwechslung in die Routine und die langen schweigsamen Stunden zu bringen. Ich erwiderte, mir mache es nichts aus, den ganzen Tag zu arbeiten, ohne ein Wort zu reden, und er sagte, ja, du bist da anders. Aber du bist auch erst anderthalb Jahre hier. Mach das mal fünfzehn Jahre, dann kannst du die Klappe auch nicht mehr halten. Ein paar von den Jungs haben in der Normandie und im Pazifik gekämpft, und was sind sie jetzt? Packesel. Esel mit Tapferkeitsmedaillen. Arme Esel in einer Sackgasse. Sie betrinken sich drüben in der Hudson Street und prahlen mit ihren Medaillen, obwohl das die anderen einen Scheiß interessiert. Sie sagen dir, sie arbeiten für die Kinder, die Kinder, die Kinder. Ein besseres Leben für die Kinder. Mein Gott! Bin ich froh, daß ich nie geheiratet habe.
    Wäre Eddie nicht gewesen, dann wären die Schlägereien weniger glimpflich verlaufen. Er hatte seine Augen und Ohren überall und roch Ärger eine Meile gegen den Wind. Wenn zwei Männer aneinandergerieten, schob Eddie seinen gewaltigen Bauch dazwischen und sagte, sie sollten gefälligst von seiner Rampe verschwinden und sich auf der Straße prügeln. Was sie aber nie taten, weil sie insgeheim dankbar waren für einen Vorwand, sich die Faust und vor allem den Haken zu ersparen. Mit einer Faust kommt man immer irgendwie klar, aber bei einem Haken weiß man nie, aus welcher Richtung er einen erwischt.
Sie knurrten sich zwar noch an und zeigten sich den Finger, aber die Luft war raus, der Moment vorbei, der Kampfgeist erloschen. Wir anderen waren schon wieder bei der Arbeit, und wozu sich schlagen, wenn keiner mehr sieht, was für ein Killer man ist?
    Helena kam immer aus dem Büro, um sich die Keilerei anzusehen, und wenn es vorbei war, flüsterte sie dem Sieger etwas ins Ohr und lud ihn ein, sich an einem dunklen Plätzchen im Lagerhaus ein paar schöne Minuten mit ihr zu machen.
    Manche von diesen Scheißkerlen, behauptete Eddie, täuschten eine Rauferei nur vor, damit Helena hinterher nett zu ihnen sei, und wenn er mich jemals nach einer Schlägerei mit ihr erwischen sollte, würde er meinen Arsch in den Fluß schmeißen. Er sagte das, weil ich einmal eine Schlägerei oder Beinahe-Schlägerei mit dem Fahrer Fat Dominic hatte, der als gefährlich galt, weil er Gerüchten zufolge Verbindungen zur Mafia hatte. Eddie hielt das für Blödsinn. Wenn einer wirklich solche Verbindungen hätte, würde er nicht als Fahrer arbeiten, wo er sich mit der schweren Ladung das Kreuz brechen kann. Trotzdem glaubten wir alle, daß Dominic Leute

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