Tag und Nacht und auch im Sommer
Klacks.
Von wegen. Die haben mich über Santayana ausgefragt.
Im Ernst? Norm verehrt Santayana.
Hatte diese Frau denn kein bißchen Taktgefühl? Mußte sie mir mit Norm und diesem verdammten Santayana vollends den Tag verderben?
Norm interessiert mich einen Dreck. Und Santayana genauso.
Oh, oh. Auf einmal so beredt? Macht unser Ire ein Toberchen?
Ich hätte ein paarmal tief durchatmen sollen, um mich zu beruhigen. Statt dessen ließ ich sie stehen und ging sogar weiter, als sie mir nachrief, Frank, Frank, wir könnten Ernst machen.
Ich ging über die Brooklyn Bridge und sagte es immer wieder vor mich hin, wir könnten Ernst machen, den ganzen Weg bis zu McSorley’s in der East Seventh Street. Was meinte sie damit?
Ich trank ein Bier nach dem anderen, aß Leberwurst und Zwiebelcracker, pißte gewaltig in McSorley’s massive Urinale, rief June von einem Münztelefon aus an, hängte ein, als Norm sich meldete, tat mir selbst leid, wollte Norm noch einmal anrufen, um ihn zu einem Showdown auf dem Bürgersteig herauszufordern, nahm den Hörer ab, hängte wieder ein, ging nach Hause, heulte ins Kissen, verachtete mich selbst und beschimpfte mich als Idioten, bis ich vom Suff benebelt einschlief.
Am nächsten Tag, verkatert und wehleidig, fuhr ich nach Brooklyn in die Eastern District High School zu meiner Lehrprobe, der letzten Hürde vor der Zulassung zum Lehramt. Ich sollte eine Stunde vorher dort sein, stieg aber in die falsche U-Bahn und kam eine halbe Stunde zu spät. Der Leiter der Englischen Abteilung sagte, ich könne auch ein andermal wiederkommen, aber ich wollte es hinter mich bringen, zumal ich ohnehin auf der Verliererstraße war.
Der Fachbereichsleiter gab mir ein paar Blätter mit dem Thema meiner Lehrprobe: Kriegsgedichte. Ich kannte die Gedichte auswendig, Siegfried Sassoons »Does it Matter?« und Wilfred Owens »Hymne für die verdammte Jugend«.
Wenn man in New York unterrichtet, muß man eine vorgegebene Abfolge einhalten. Als erstes muß man sein Ziel definieren. Dann muß man die Klasse motivieren, denn wie jeder weiß, wollen diese Kinder überhaupt nichts lernen.
Ich motivierte die Klasse, indem ich ihr vom Mann meiner Tante erzählte, der im Ersten Weltkrieg in einen Gasangriff geriet und nach der Heimkehr keine andere Arbeit mehr fand, als im Gaswerk von Limerick Kohle, Koks und Schlacken zu schaufeln. Die Klasse lacht, und der Fachbereichsleiter lächelt leicht, ein gutes Zeichen.
Es genügt nicht, das Gedicht zu besprechen. Man muß die Schüler auch »aus der Reserve locken«, sie in den Stoff einbeziehen. Sie erregen. Das Wort stammt von der Schulbehörde. Man muß packende Fragen stellen, um die Schüler zur Mitarbeit zu bewegen. Ein guter Lehrer sollte so viele packende Fragen stellen, daß sich die Klasse eine dreiviertel Stunde lang vor Begeisterung überschlägt.
Ein paar Schüler reden über den Krieg und ihre Familienmitglieder, die den Zweiten Weltkrieg und den Koreakrieg überlebt haben. Sie finden es ungerecht, daß manche ohne Gesicht und ohne Beine zurückgekommen sind. Einen Arm zu verlieren sei nicht so schlimm, weil man ja noch einen hat, aber beide Arme, das sei schon wirklich bitter, denn dann muß man sich füttern lassen. Etwas ganz anderes sei es, sein Gesicht zu verlieren. Man hat ja nur eins, und wenn das weg ist, dann gute Nacht, Baby. Eine Schülerin mit einer bezaubernden Figur und einer rosa Spitzenbluse sagte, der Mann ihrer Schwester sei bei Pjönjang verwundet worden und habe überhaupt keine Arme mehr, nicht einmal Stummel, an denen man Armprothesen befestigen könnte. Ihre Schwester müsse ihn also füttern und rasieren und alles, aber er denke die ganze Zeit nur an Sex. Sex, Sex, Sex, sonst interessiere ihn überhaupt nichts, und ihre Schwester sei fix und fertig.
Der Fachbereichsleiter im Hintergrund sagt in warnendem Ton, Helen, doch sie sagt zur ganzen Klasse gewandt, aber es stimmt. Wie würde euch das gefallen, jemanden zu haben, den ihr baden und füttern und mit dem ihr jeden Tag dreimal schlafen müßt? Ein paar von den Jungen feixen, werden aber sofort
ernst, als Helen sagt, es tut mir leid. Das mit meiner Schwester und Roger macht mich so traurig, weil sie sagt, sie hält das nicht mehr aus. Sie würde ihn verlassen, aber dann muß er ins Veteranenheim. Er hat gesagt, wenn es so weit kommt, dann bringt er sich um. Sie dreht sich um und wendet sich an den Fachbereichsleiter. Ich entschuldige mich für das, was ich über den Sex
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