Tag und Nacht und auch im Sommer
Sie erwiderte, sie denke gar nicht daran, Lehrerin zu werden. Ihr großer Traum sei es, in einem Reisebüro zu arbeiten und umsonst überallhin reisen zu können. Eine Mutter fragte, aber wollen Sie denn nicht seßhaft werden und Kinder bekommen? Sie wären eine wunderbare Mutter.
Norma gab die falsche Antwort, und schon schlug die Stimmung wieder um. Nein, sagte sie, ich will keine Kinder. Mit Kindern hat man nur Ärger. Man muß ihnen die Windeln wechseln und sich dann erkundigen, wie sie sich in der Schule machen, und man ist nie sein eigener Herr.
Solche Reden hätte sie nicht führen dürfen, und man spürte fast körperlich die Feindseligkeit, die ihr entgegenschlug. Vor ein paar Minuten hatten die Eltern sie zu ihrer Tüchtigkeit beglückwünscht, und jetzt fühlten sie sich durch ihre Äußerungen über Elternschaft und Kinderkriegen beleidigt. Ein Vater zerriß das Blatt Papier für die Namen und Telefonnummern, das sie hatte herumgehen lassen, und warf die Fetzen nach vorne, wo ich saß. He, sagte er, kann das mal jemand in den Papierkorb werfen? Er nahm seinen Mantel und sagte zu seiner Frau, komm, wir gehen. Das ist ja ein Irrenhaus hier. Seine Frau keifte mich an, haben Sie diese Kinder denn überhaupt nicht im Griff? Wenn die da meine Tochter wär, tät ich ihr die Fresse polieren. Die hat kein Recht, die Mütter Amerikas so in den Dreck zu ziehen.
Mein Gesicht glühte. Am liebsten hätte ich die Eltern im Raum und die Mütter Amerikas um Entschuldigung gebeten. Am liebsten hätte ich zu Norma gesagt, geh raus. Du hast mir meinen ersten Elternsprechtag vermasselt. Sie stand ruhig an der Tür und verabschiedete die Eltern, die hinausgingen, scheinbar unbeeindruckt von den finsteren Mienen. Was sollte ich tun? Wo war das Buch von einem Pädagogikprofessor, in dem ich mir Rat holen konnte? Fünfzehn Mütter und Väter saßen noch immer im Raum und warteten darauf, etwas über ihre Söhne und Töchter zu erfahren. Was sollte ich ihnen sagen?
Norma meldete sich noch einmal zu Wort, und mir rutschte das Herz in die Hose. Meine Damen und Herren, es war dumm von mir, so etwas zu sagen, und es tut mir sehr leid. Mr. McCourt kann nichts dafür. Er ist ein guter Lehrer. Er ist neu bei uns, wissen Sie, erst seit ein paar Monaten an dieser Schule, also sozusagen noch Lehrer in Ausbildung. Ich hätte den Mund halten sollen; ich habe ihn in Schwierigkeiten gebracht, und das tut mir sehr leid.
Dann fing sie an zu weinen, und mehrere Mütter eilten herbei, um sie zu trösten, während ich an meinem Tisch saß. Es war Normas Aufgabe, die Eltern der Reihe nach aufzurufen, aber sie wurde schier erdrückt von den tröstenden Müttern, und ich wußte nicht, ob ich selbständig handeln und fragen sollte, wer ist der Nächste? Die Eltern schienen sich für Normas Kummer mehr zu interessieren als für die Zukunft ihrer eigenen Kinder, und als die Klingel das Ende der Elterngespräche verkündete, gingen sie lächelnd hinaus und sagten, der Besuch bei mir sei sehr nett gewesen, und alles Gute für Ihre weitere Laufbahn als Lehrer.
Vielleicht hatte Paulies Mutter recht. An meinem zweiten Elternsprechtag warf sie mir an den Kopf, ich sei ein Betrüger. Sie sei stolz auf ihren Paulie, den angehenden Klempner. Er sei ein guter Junge und wolle einmal sein eigenes Geschäft aufmachen, ein nettes Mädchen heiraten, Kinder großziehen und ein achtbares Leben führen.
Ich hätte entrüstet sein und sie fragen sollen, wen sie ihrer Meinung nach eigentlich vor sich hatte, aber irgendwo in meinem Hinterkopf hielt sich hartnäckig der Verdacht, ich ginge vielleicht doch unter falschen Voraussetzungen meinem Beruf nach.
Ich frage meinen Jungen, was er in der Schule gelernt hat, und er erzählt mir Geschichten von Irland und Ihrer Auswanderung nach New York. Geschichten, Geschichten, Geschichten. Wissen Sie, was Sie sind? Ein Betrüger, ein gottverdammter
Betrüger sind Sie. Und ich sage das mit den besten Absichten. Ich will Ihnen helfen.
Ich wollte ein guter Lehrer sein. Ich wünschte mir die Anerkennung, die ich bekäme, wenn ich meine Schüler, vollgestopft mit Orthographie und Wortschatz und allem, was zu einem besseren Leben führen würde, nach Hause schickte, aber, mea culpa, ich wußte nicht, wie ich es anstellen sollte.
Die Mutter sagte, sie sei Irin, verheiratet mit einem Italiener, und ich sei für sie ein offenes Buch. Sie habe von Anfang an meine Machenschaften durchschaut. Als ich erwiderte, ich sei ganz ihrer
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