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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Amerikanische Teenager sind Experten für Lehrertricks, und wenn man versucht, sie zu linken, machen sie einen fertig.
    Aha, ja, Mister, und was haben Sie sonst noch in Irland erlebt?
    Darüber kann ich jetzt nicht reden. Wir müssen die Wortschatzübung
im Lehrbuch durcharbeiten. Schlagt Seite zweiundsiebzig auf.
    Ach, Mann, anderen Klassen erzählen Sie auch Geschichten. Können Sie uns nicht wenigstens eine klitzekleine Kleinigkeit erzählen?
    Okay, eine Kleinigkeit. Als Junge in Limerick hätte ich mir nicht träumen lassen, daß ich einmal Lehrer in New York werden würde. Wir waren arm.
    Ach ja. Wir haben gehört, daß Sie nicht mal einen Kühlschrank hatten.
    Richtig, und wir hatten kein Toilettenpapier.
    Was? Kein Toilettenpapier? Toilettenpapier hat doch jeder. Sogar in China, wo alle verhungern, haben sie Toilettenpapier. Sogar in Afrika.
    Sie denken, ich übertreibe, und das mögen sie nicht. Auch für Elendsgeschichten gibt es irgendwo eine Grenze.
    Wollen Sie uns weismachen, Sie sind aufgestanden und haben einfach Ihre Hosen hochgezogen, ohne sich abzuwischen?
    Nancy Castigliano meldet sich. Entschuldigen Sie, Mr. McCourt. Es ist fast Mittag, und ich will nichts mehr von Leuten hören, die kein Toilettenpapier haben.
    Okay, Nancy, weiter im Text.
    Wenn du Tag für Tag vor Dutzenden von Teenagern stehst, kommst du zwangsläufig immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Um acht Uhr morgens ist es ihnen egal, wie du dich fühlst. Du denkst an den Tag, der vor dir liegt: fünf Klassen, bis zu hundertfünfundsiebzig amerikanische Jugendliche; launisch, hungrig, verliebt, ängstlich, geil, energiegeladen, provokant. Es gibt kein Entrinnen. Da sind sie, und hier stehst du mit deinem Kopfweh, deinen Verdauungsbeschwerden, den Echos der Streitereien mit deiner Frau, deiner Geliebten, deinem Vermieter, deinem unausstehlichen Sohn, der Elvis sein möchte und nichts von dem zu schätzen weiß, was du für ihn tust. Letzte Nacht hast du nicht schlafen können. Du hast immer
noch die Tasche mit den Arbeiten von hundertfünfundsiebzig Schülern, ihren sogenannten Aufsätzen, achtlos hingeschmiertem Zeug. Ach, Mister, haben Sie meine Arbeit korrigiert? Nicht, daß es sie interessiert. Sie haben nicht vor, den Rest ihres Lebens mit Aufsatzschreiben zu verbringen. So was muß man nur in dieser langweiligen Stunde machen. Sie sehen dich an. Du kannst dich nicht verstecken. Sie warten. Was kommt heute dran, Mister? Der Absatz? Aha. He, Leute, heute lernen wir alles über den Absatz, die Gliederung, das Thema und so weiter. Ich kann’s gar nicht erwarten, es heute abend meiner Mom zu erzählen. Sie fragt immer, wie war’s heute in der Schule. Absätze, Mom. Der Lehrer hat’s mit Absätzen. Dann sagt Mom, schön, schön, und wendet sich wieder ihrer Seifenoper zu.
    Sie kommen aus Autowerkstätten, aus dem wirklichen Leben, wo sie alles vom Volkswagen bis zum Cadillac zerlegen und wieder zusammenbauen, und dieser Lehrer hier labert ewig vom Aufbau *eines Absatzes. Mann Gottes. In der Autowerkstatt braucht man keine Absätze.
    Wenn man blafft oder schnauzt, hat man verspielt. Das kriegen sie andauernd von ihren Eltern und den Schulen im allgemeinen, das Blaffen und Schnauzen. Wenn sie mit passivem Widerstand zurückschlagen, ist man geliefert. Ihre Gesichter verändern sich, sie schalten um auf einen ganz bestimmten leeren Blick. Man sagt ihnen, sie sollen ihre Hefte aufschlagen. Sie glotzen. Sie lassen sich Zeit. Immer mit der Ruhe, sie werden ihre Hefte schon aufschlagen. Ja, Sir, wir schlagen unsere Hefte auf, aber schön langsam und vorsichtig, damit auch nichts rausfällt. Man sagt ihnen, sie sollen abschreiben, was auf der Tafel steht. Sie glotzen. Aha, so, mhm, sagt einer zum anderen. Er meint, wir sollen abschreiben, was auf der Tafel steht. Seht euch das an. Der Mensch hat was an die Tafel geschrieben, und wir sollen es abschreiben. Sie schütteln in Zeitlupe den Kopf. Man fragt sie, irgendwelche Fragen?, und im ganzen Raum sieht man nur Unschuldsmienen. Man steht da und wartet. Sie
wissen, es ist ein dreiviertelstündiger Showdown, man selbst gegen sie, vierunddreißig New Yorker Teenager, die zukünftigen Mechaniker und Handwerker Amerikas.
    Du bist auch nur ein Lehrer, Mann, also was machst du? Die ganze Klasse niederstarren? Die ganze Klasse durchfallen lassen? Wach auf, Kleiner. Die haben dich an den Eiern, und du hast es dir selbst zuzuschreiben, Mann. Du hättest bloß nicht so mit ihnen reden

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