Tag und Nacht und auch im Sommer
dürfen. Deine Laune, deine Kopfschmerzen, deine Sorgen sind ihnen völlig egal. Sie haben ihre eigenen Probleme, und eines davon bist du.
Sieh dich vor, Lehrer. Mach dich nicht zum Problem. Die kriegen dich klein.
Regen verändert die Stimmung an der Schule, er dämpft alles. Die ersten kommen schweigend herein. Einer oder zwei sagen guten Morgen. Sie schütteln die Tropfen von ihren Jacken. Sie sind in einem Traumzustand. Sie setzen sich hin und warten. Keiner redet. Keiner will austreten gehen. Keine Beschwerden, keine Provokationen, keine Widerreden. Regen ist Magie. Regen ist das Höchste. Stell dich drauf ein, Lehrer. Laß dir Zeit. Sprich leiser. Englischunterricht? Denk nicht mal dran. Vergiß die Präsenzkontrolle. Das ist die Stimmung in einem Haus nach einer Beerdigung. Keine schrillen Schlagzeilen heute, keine grausamen Nachrichten aus Vietnam. Auf dem Flur vor dem Klassenzimmer Schritte, das Lachen eines Lehrers. Der Regen prasselt an die Fensterscheiben. Setz dich an deinen Tisch, und laß die Stunde vorüberziehen. Ein Mädchen hebt die Hand. Sie sagt, äh, Mr. McCourt, waren Sie schon mal verliebt? Du bist neu, aber du weißt schon, daß sie, wenn sie solche Fragen stellen, an sich selber denken. Du sagst ja.
Hat sie Schluß gemacht, oder haben Sie sie verlassen?
Beides.
Ach ja? Sie meinen, Sie waren schon mehr als einmal verliebt?
Ja.
Wow.
Ein Junge hebt die Hand. Warum können Lehrer uns nicht wie Menschen behandeln?
Du weißt es nicht. Tja, Mann, wenn du es nicht weißt, dann sag ihnen, ich weiß es nicht. Erzähl ihnen von der Schule in Irland. Die Schule hat dir Angst und Schrecken eingejagt. Du hast sie gehaßt und davon geträumt, endlich vierzehn zu sein und arbeiten zu gehen. Du hast noch nie so an deine eigene Schulzeit gedacht, noch nie darüber geredet. Du wünschst dir, der Regen würde nie wieder aufhören. Die Schüler sitzen auf ihren Plätzen. Keiner mußte ihnen sagen, daß sie ihre Jacken aufhängen sollen. Sie sehen dich an, als hätten sie dich eben erst entdeckt.
Es sollte jeden Tag regnen.
Es gibt aber auch Frühlingstage, an denen die warme Kleidung abgelegt wird, und dann wird jede Klasse zu einem Bilderbogen von Brüsten und Bizepsen. Linde Lüfte wehen durchs Fenster herein, liebkosen die Wangen von Lehrern und Schülern, lassen von Tisch zu Tisch, von Bank zu Bank lächelnde Gesichter aufleuchten, bis der ganze Raum strahlt. Gurrende Tauben und tschilpende Spatzen sagen uns, seid frohgemut, der Sommer zieht ins Land. Schamlos und ohne Rücksicht auf die pulsierende Jugend im Klassenzimmer kopulieren die Tauben auf dem Fenstersims, und das ist verführerischer als die beste Lektion vom großartigsten Lehrer der Welt.
An solchen Tagen ist mir, als könnte ich auch dem Widerborstigsten und dem Klügsten etwas beibringen. Als könnte ich die Traurigsten der Traurigen umarmen und hätscheln.
An solchen Tagen erklingt leise eine Melodie von lauen Lüften, Brüsten, Bizepsen, lächelnden Lippen und Sommerseligkeit.
Sollten meine Schüler jemals so schreiben, würde ich sie auf die Hilfsschule schicken.
Zweimal jährlich hatten wir an der McKee einen Elternsprechtag einschließlich Elternabend. Dann kamen die Eltern in die Schule, um zu sehen, wie sich ihre Kinder so machten. Die Lehrer saßen in den Klassenzimmern und sprachen mit den Eltern oder hörten sich ihre Beschwerden an. Die Mütter waren weitaus in der Überzahl, denn das war Frauensache. Wenn die Mutter erfuhr, daß ihr Sohn oder ihre Tochter sich schlecht betrug oder in den Leistungen nachließ, dann war es Sache des Vaters, Maßnahmen zu ergreifen. Natürlich ergriff der Vater nur Maßnahmen beim Sohn. Für die Tochter war die Mutter zuständig. Es hätte sich nicht geschickt, daß der Vater seine Tochter durch die Küche ohrfeigt oder ihr einen Monat Hausarrest aufbrummt. Gewisse Probleme fielen in die Zuständigkeit der Mutter. Sie mußte auch entscheiden, wie weit der Vater eingeweiht wurde. Wenn der Sohn schlecht lernte und sie einen Mann hatte, dem leicht die Hand ausrutschte, konnte sie die Sache beschönigen, damit ihr Sohn nicht mit blutender Nase auf dem Fußboden landete.
Manchmal kamen auch ganze Familien zu einem Lehrer, dann war der Raum voll mit Vätern und Müttern und kleinen Kindern, die zwischen den Bänken herumtobten. Die Frauen unterhielten sich freundlich, aber die Männer saßen still in Bänken, die viel zu klein für sie waren.
Niemand gab mir jemals einen Rat, wie ich
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