Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
Vom Netzwerk:
am Elternsprechtag mit den Eltern umzugehen hätte. Beim ersten Mal an der McKee ließ ich Norma, eine Klassenordnerin, Nummern ausgeben, damit die Eltern wußten, wann sie an der Reihe waren.
    Als erstes mußte ich mich mit dem Problem meines Akzents befassen, vor allem bei den Frauen. Sobald ich den Mund aufmachte, sagten sie, o Gott, was für ein goldiger Akzent. Dann erzählten sie mir, daß ihre Großeltern aus der alten Heimat gekommen seien, daß sie nichts besaßen, als sie hier ankamen, aber jetzt hätten sie eine eigene Tankstelle draußen in New Dorp. Sie wollten wissen, wie lange ich schon im Lande und wie
ich zum Lehrberuf gekommen sei. Sie sagten, sie fänden es wunderbar, daß ich Lehrer sei, weil die meisten unserer Leute Polizisten und Priester wären, und im Flüsterton sagten sie, es gebe zu viele Juden an der Schule. Sie würden ihre Kinder ja auf katholische Schulen schicken, aber berufsbildende und technische Fächer seien nicht gerade die Stärke der katholischen Schulen. Immer nur Geschichte und Gebete, was ja für das Leben danach in Ordnung sei, aber ihre Kinder müßten im Diesseits zurechtkommen, mit Verlaub. Schließlich erkundigten sie sich, wie er sich denn so mache, ihr kleiner Harry.
    Vorsicht war geboten, wenn der Vater dabei war. Äußerte ich mich negativ über Harry, konnte der Vater heimgehen und ihn versohlen, und dann würde es sich unter meinen anderen Schülern herumsprechen, daß man mir nicht trauen könne. Ich begriff allmählich, daß Lehrer und Schüler gegenüber den Eltern, der Schulverwaltung und der Welt im allgemeinen zusammenhalten mußten.
    Ich sagte nur Gutes über meine Schüler. Sie waren aufmerksam, pünktlich, rücksichtsvoll und lernbegierig, jeder von ihnen hatte beste Zukunftsaussichten, und die Eltern konnten stolz auf ihn sein. Vater und Mutter sahen sich an, lächelten und sagten, na bitte, oder sie runzelten die Stirn und fragten, sprechen Sie wirklich von unserem Kind? Unserem Harry?
    O ja, Harry.
    Beträgt er sich ordentlich im Unterricht? Ist er höflich?
    O ja. Er beteiligt sich an jeder Diskussion.
    Nanu. So kennen wir unseren Harry gar nicht. Er muß in der Schule ganz anders sein, zu Hause ist er nämlich unausstehlich. Da kriegen wir kein Wort aus ihm raus. Und er tut grundsätzlich nicht, was man ihm sagt. Andauernd sitzt er nur da und hört sich diesen verdammten Rock ’n’ Roll an, Tag und Nacht, Tag und Nacht.
    Der Vater nahm kein Blatt vor den Mund. Das ist das Schlimmste, was diesem Land je passiert ist, dieser Elvis, der da
ständig im Fernsehen mit dem Arsch wackelt, pardon. Schreckliche Vorstellung, heutzutage eine Tochter zu haben, die sich diesen Mist ansieht. Ich hätte gute Lust, den Plattenspieler auf den Müll zu schmeißen. Und den Fernseher gleich hinterher, aber ich brauch nun mal ein bißchen Entspannung nach einem Tag auf den Kais, wenn Sie wissen, was ich meine.
    Andere Eltern wurden ungehalten und fragten höflich, aber sarkastisch, ob ich wohl eine Möglichkeit sähe, diese Diskussion über Elvis Presley zu beenden und auch mal mit ihnen über ihre Söhne und Töchter zu sprechen. Harrys Eltern hielten dagegen, sie seien jetzt an der Reihe. Soviel sie wüßten, sei das ein freies Land, und sie wollten bitte schön nicht mitten im Gespräch mit diesem netten Lehrer aus der alten Heimat gestört werden.
    Aber die anderen Eltern sagten, ja, ja, Lehrer. Beeilen Sie sich. Wir haben nicht den ganzen Abend Zeit. Auch wir gehören zur arbeitenden Bevölkerung.
    Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich dachte, wenn ich mich bei Harrys Eltern bedanke, werden sie den Wink verstehen und sich verabschieden, aber der energische Vater sagte, he, wir waren noch nicht fertig.
    Norma, die Klassenordnerin, erkannte mein Dilemma und übernahm. Sie teilte den versammelten Eltern mit, wenn sie ein längeres Gespräch mit mir wünschten, könnten sie sich für einen von mehreren Nachmittagen einen Termin geben lassen.
    Ich hatte Norma nichts dergleichen gesagt. Ich hatte keine Lust, mein ganzes Leben im Klassenzimmer zu verbringen, noch dazu mit verärgerten Eltern, aber sie sprach ungerührt weiter, ließ ein Blatt Papier herumgehen und bat die Verärgerten, ihre Namen und Telefonnummern aufzuschreiben, bitte in Druckbuchstaben, nicht in Schreibschrift. Mr. McCourt werde sich mit ihnen in Verbindung setzen.
    Der Aufruhr legte sich, und alle machten Norma Komplimente wegen ihrer Tüchtigkeit und sagten ihr, sie sollte auch
Lehrerin werden.

Weitere Kostenlose Bücher