Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
Vom Netzwerk:
aufmunternd zuflüstern, Sal werde da schon drüber wegkommen? Sollte ich zu Sal gehen, mich für die irische Rasse entschuldigen, ihm sagen, man kann nicht ein ganzes Volk nach dem Verhalten eines einzigen
Schlägertyps im Prospect Park beurteilen, ihn erinnern, daß Louise immer noch wunderschön war, ihn immer noch liebte?
    Wie soll man den Schluß von Der scharlachrote Buchstabe besprechen, das Happy-End für Hester und Pearl, wenn ein paar Meter vor einem Louise sitzt, mit gebrochenem Herzen, und Sal stur vor sich hinstarrt, als könnte er den ersten Iren erwürgen, der ihm über den Weg läuft?
    Ray Brown hob die Hand. Immer vorndran, der gute alte Ray. Mr. McCourt, wieso kommen in dem Buch keine Neger vor?
    Ich muß ein dummes Gesicht gemacht haben. Alle außer Louise und Sal lachten. Ich weiß es nicht, Ray. Ich glaube nicht, daß die im alten Neuengland Neger hatten.
    Sal sprang auf. Doch, die hatten Neger, Ray, aber die Iren haben sie alle umgebracht. Sich von hinten angeschlichen und ihnen den Schädel eingeschlagen.
    Ach ja? sagte Ray.
    Ja, sagte Sal. Er nahm seine Tasche, ging hinaus und suchte den Beratungslehrer auf, der mir hinterher sagte, Sal habe darum gebeten, in die Klasse von Mr. Campbell wechseln zu dürfen, der wenigstens kein Ire sei und nicht mit diesem dämlichen Akzent spreche. Man könne sich nicht vorstellen, daß Mr. Campbell einem von hinten ein Kantholz über den Schädel haut, aber dieser McCourt. Der ist Ire, und diesen hinterhältigen Scheißkerlen kann man nicht trauen.
    Ich wußte mir mit Sal keinen Rat. Er stand drei Monate vor seinem Abschluß, und ich hätte versuchen sollen, mit ihm zu reden, aber ich wußte nicht recht, wie oder was. Auf den Gängen sah ich oft Lehrer, die ein Kind trösteten. Arm um die Schultern. Eine herzliche Umarmung. Nur Mut, alles wird gut. Junge oder Mädchen sagt danke, Tränen, Lehrer drückt ein letztes Mal die Schulter. Das hätte ich gern getan. Hätte ich Sal sagen sollen, ich bin keiner, der mit Kanthölzern auf Leute eindrischt ? Hätte ich ihm klarmachen sollen, wie ungerecht es sei,
Louise für die Tat eines wildfremden, vermutlich betrunkenen Rowdys büßen zu lassen? Du weißt doch, wie die Iren sind, Sal. Und er hätte gelacht und gesagt, okay, die Iren haben da ein Problem, und sich mit Louise versöhnt.
    Oder hätte ich mit Louise reden sollen, ein paar Platitüden loslassen à la Mit der Zeit wirst du schon drüber wegkommen oder Es gibt noch andere Fische im Ozean oder Du wirst nicht lange allein bleiben, Louise. Die Jungs werden dir die Tür einrennen.
    Ich wußte, wenn ich versuchte, mit einem von beiden zu reden, würde ich stottern und stammeln. Das Beste war, nichts zu tun, und zu mehr war ich ohnehin nicht fähig. Eines fernen Tages würde ich jemanden auf dem Gang trösten, mit dem starken Arm um die Schultern, dem sanften Wort, der Umarmung.
     
    Kein Lehrer will Kevin Dunne in seiner Klasse haben. Der Junge ist eine Strafe Gottes, ein Unruhestifter, eine Zeitbombe. Lehrer, die ihn vom Rektor zwangsweise in die Klasse gesetzt bekommen, werfen den Bettel hin, wollen in Pension gehen, suchen das Weite. Dieser Kerl gehört in einen Zoo, in die Affenabteilung, nicht in eine Schule.
    Also kommt er zu dem neuen Lehrer, dem, der nicht nein sagen kann: zu mir. Außerdem sieht man ja an dem roten Haar, den vielen Sommersprossen und dem Namen, daß der Junge Ire ist, und bestimmt kommt ein irischer Lehrer mit einem original irischen Akzent besser mit dem kleinen Scheißer zurecht. Der Beratungslehrer sagt, er setze auf etwas, na ja, Atavistisches, etwas, das eine Saite zum Klingen bringen könnte. Ein echter irischer Lehrer kann doch gewiß etwas Ethnisches in Kevins Anlagen aktivieren. Richtig? Der Beratungslehrer sagt, Kevin wird neunzehn und sollte dieses Jahr abgehen, aber da er zweimal sitzengeblieben ist, besteht nicht die geringste Aussicht, daß er jemals Barett und Robe tragen wird. Nicht die geringste. Man spielt auf Zeit, man hofft, er wird die Schule
schmeißen, zum Militär gehen oder so etwas. In der Army nehmen sie heutzutage jeden, die Lahmen, die Blinden, die Beschränkten, die Kevins dieser Welt. Sie sagen, allein schafft der es nie bis in mein Klassenzimmer, ich möchte ihn doch bitte im Büro des Beratungslehrers abholen.
    Er sitzt in einer Ecke, in einem zu großen Anorak, das Gesicht tief in der Kapuze versteckt. Der Beratungslehrer sagt, da ist er, Kevin. Das ist dein neuer Lehrer. Nimm die Kapuze ab, damit er

Weitere Kostenlose Bücher