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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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daß sie oder Adam sich seinem kostbaren Apfelbaum näherten.
    Hitzig wird debattiert, wem der größere Anteil an Schuld und Sünde zuzurechnen sei, Adam oder Eva. Luzifer in Gestalt der Schlange ist ein Mistkerl, ein Fiesling, ein Scheusal – darüber sind sich alle einig. Keiner ist mutig genug, um irgend etwas Abträgliches über Gott zu sagen, nur andeutungsweise ist herauszuhören, ein bißchen mehr Verständnis für die Misere des ersten Mannes und der ersten Frau hätte er schon aufbringen können.
    Mikey Dolan sagt, so dürfte man an katholischen Schulen niemals reden. Herrgott noch mal, pardon, die Nonnen würden einen an den Ohren aus der Bank zerren und die Eltern einbestellen, um sie zu fragen, wo ihr Kind diese gotteslästerlichen Ideen her habe.
    Andere Jungen in der Klasse, Nicht-Katholiken, prahlen, so eine Scheiße würden sie sich nicht gefallen lassen. Sie würden die Nonnen in den Hintern treten, und warum eigentlich alle katholischen Jungs solche Schisser seien.
    Die Diskussion uferte aus, und ich machte mir Sorgen, das eine oder andere davon könnte katholischen Eltern zu Ohren kommen, die sich dann gegen die Erwähnung von Tätlichkeiten gegen Nonnen verwahren würden. Deshalb fragte ich, ob ihnen irgend jemand auf der Welt, in Gegenwart oder Vergangenheit, einfalle, der eine gute Entschuldigung gebrauchen könnte.
    Ich schrieb die Vorschläge an die Tafel:
    Eva Braun, Hitlers Freundin.
    Ich fragte, und Hitler selbst?
    Ne, ne, der doch nicht. Für den gibt’s keine Entschuldigung.
    Aber vielleicht hatte er ja eine unglückliche Kindheit.
    Das ließen sie auch nicht gelten. Eine Entschuldigung für Hitler könne zwar eine große Herausforderung für einen Schriftsteller sein, aber von ihnen bekäme er keine.

    An der Tafel: Julius und Ethel Rosenberg, 1953 wegen Hochverrats hingerichtet.
    Wie wär’s mit Entschuldigungen für Wehrdienstverweigerer ?
    O ja, Mr. McCourt. Die Typen haben alle möglichen Entschuldigungen. Die wollen nicht für ihr Vaterland kämpfen, aber wir sind da anders.
    An der Tafel: Judas, Attila der Hunnenkönig, Lee Harvey Oswald, Al Capone, alle Politiker Amerikas.
    Ach, Mr. McCourt, könnten Sie auch ein paar Lehrer dazuschreiben ? Nicht Sie, aber diese blöden Pauker, die uns jeden zweiten Tag Proben schreiben lassen.
    Tut mir leid, das geht nicht. Das sind meine Kollegen.
    Okay, okay, aber wir können denen ja Entschuldigungen schreiben und erklären, warum sie so sein müssen.
    Mr. McCourt, der Rektor kommt.
    Mir wird mulmig.
    Der Rektor geleitet den Schulrat von Staten Island herein, Mr. Martin Wolfson. Sie nehmen mich nicht zur Kenntnis. Sie entschuldigen sich nicht dafür, daß sie den Unterricht stören. Sie gehen zwischen den Bänken auf und ab, sehen sich an, was die Schüler geschrieben haben. Hier und da nehmen sie ein Blatt in die Hand, um es genauer zu lesen. Der Schulrat zeigt eines dem Rektor. Der Schulrat runzelt die Stirn und spitzt die Lippen. Der Rektor spitzt die Lippen. Die Schüler begreifen, daß es sich um wichtige Persönlichkeiten handelt. Um mir ihre Loyalität und Solidarität zu beweisen, verzichten sie darauf, um den Paß für die Toilette zu bitten.
    Im Hinausgehen runzelt der Rektor die Stirn und flüstert mir zu, der Schulrat möchte mich in der nächsten Stunde sprechen; man werde so lange eine Aufsicht in meine Klasse schicken. Ich weiß. Ich weiß. Ich habe wieder mal Mist gebaut. Jetzt ist die Kacke am Dampfen, und ich weiß nicht, warum. In meine Akte kommt ein negativer Vermerk. Dabei meint man es nur gut.
Man nutzt jede sich bietende Gelegenheit. Probiert was aus, was seit Anbeginn der Geschichte noch nie gemacht wurde. Und die Kinder überschlagen sich vor Begeisterung über die Entschuldigungen. Aber jetzt kommt die Abrechnung, Herr Lehrer. Den Flur entlang ins Büro des Rektors.
    Er sitzt am Schreibtisch. Der Schulrat, der reglos mitten im Zimmer steht, erinnert mich an einen reuigen Schüler.
    Äh, Mr. … Mr. …
    McCourt.
    Nur Mut. Hereinspaziert. Nur ganz kurz. Ich wollte Ihnen sagen, daß diese Stunde, dieses Projekt, was immer Sie da gemacht haben, ganz ausgezeichnet war. Ganz ausgezeichnet. Genau das brauchen wir, junger Mann, solchen realitätsbezogenen Unterricht. Was die Schüler da geschrieben haben, das war College-Niveau.
    Er wendet sich an den Rektor und sagt, dieser Junge mit der Entschuldigung für Judas. Glänzend. Den einen oder anderen Vorbehalt hätte ich allerdings. Ich weiß nicht so recht, ob das

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